Lancia – Die Marke der Ingenieure

Lancia Stratos Stradale

Wer zuletzt an einen Lancia denkt, sieht vor sich die Autos aus der Kooperation mit Chrysler, bestenfalls. Man denkt vielleicht an den letzten Thema, der ein 300c war, der eine E-Klasse W 210 war. Der Enthusiast sieht Eigentümer- und Strategiewechsel, resultierend in einem Durchreichen von Großserientechnik , der Individualität und Innovationskraft fehlt. Reduziert auf den Ypsilon, der nur noch in der Heimat Italien verkauft wird, geraten die Erfolge und Errungenschaften Lancias schnell in Vergessenheit.

Dabei blickt Lancia in seiner Geschichte auf Pionierleistungen zurück, mit denen keine andere Marke mithalten kann. Im November 1906 wurde die Firma gegründet, 1907 kam der Alfa als erstes Fahrzeug auf den Markt. Ab da wurden regelmäßig neue Modelle präsentiert, zahlreiche Patente angemeldet und umgesetzt. Mit technischen Innovationen grenzten sich die Italiener von der Konkurrenz ab und entwickelte den Ruf „Marke der Ingenieure“ zu sein. Große Stückzahlen wurden nur selten produziert. 1913 folgte der Theta. Das erste Auto in Europa mit einer elektrischen Anlage, beleuchtetem Cockpit und einem Anlasser. Der Anlasser machte den Verbrennungsmotor bedienerfreundlicher und verhalf ihm im Wettbewerb der Antriebskonzepte zum Durchbruch. Ein Meilenstein. Da fällt die erstmals eingesetzte und patentierte dreifach verstellbare Lenksäule des Theta fast in Vergessenheit.

Die frühen Lancias – Autos für Stars und Technikfans

1922 folgte auf dem Pariser Salon der nächste große Wurf: Der Lambda. Einzelradaufhängung, hydraulische Stoßdämpfer und eine selbsttragende Karosserie. Wie später noch in der Fulvia fand sich schon hier ein VR-Vierzylinder mit engem Zylinderbankwinkel und einem gemeinsamen Zylinderkopf. Bis 1931 wurden über 10.000 Exemplare des Lambda hergestellt. Weit mehr als die circa 850 Stück vom Vorgänger Kappa.

Zum Wagen der Stars der 30er Jahre entwickelte sich der Dilambda. Mit 101 PS und 120 km/h war er schnell, Silentblöcke am Motor sorgten für Ruhe und eine zentrale Schmierung des Chassis verringerte den Wartungsaufwand. Erich Maria Remarque und Marlene Dietrich flohen samt Dietrichs Tochter im Dilambda nach Frankreich.

Fast schon nebenbei bauten die Italiener mit der Ardea ab 1948 das erste Auto mit einem Fünfganggetriebe.

1947 patentierte Lancia die Schräglenker-Hinterachse, eingebaut wird sie ab 1950 in die Aurelia. Doch hier endet die Innovation nicht. Von Vittorio Jano konstruiert, verzichtete die Aurelia auf die B-Säule, wurde das erste Auto in Transaxle-Bauweise und erhielt den ersten V6-Motor. Der Fairness halber, es handelt sich um einen VR6-Motor mit zwei Zylinderköpfen, in Leichtmetall gebaut. Serienmäßig kam die Aurelia mit Radialreifen. Sie markiert den Anfang von Lancias Erfolgen im Rallyesport. Auch wirtschaftlich war die Aurelia ein voller Erfolg, auch wenn man den Wachstumsmarkt der billigen Großserienwagen nach 1945 nicht bedienen konnte.

Aufwändig konstruiert wurde auch die untere Mittelklasse. V4-Motor mit hemisphärischen Brennräumen und zweifach gelagerter Kurbelwelle, Schneckenlenkung, Teleskopstoßdämpfer an der Hinterachse und hydraulische Trommelbremsen ringsum trieben 1953 den Preis für die Appia in die Höhe. Sie war teurer als die Konkurrenz von FIAT und langsamer als eine Alfa Romeo Giulietta. Hinzu kamen teure Cabriolets und Coupés von Vignale, Pininfarina und Zagato. Lancia stellte die qualitativ besten Automobile her, machte über die Jahre jedoch nur Verluste.

Lancias Neuanfang ohne die Familie

Nach 49 Jahren im Besitz, verkaufte die Familie Lancia das Unternehmen 1955 an Italcementi. Antonio Fessia wurde technischer Direktor und stellte 1957 die Flaminia vor. Ihre moderne und schlichte Trapezform war stilprägend für viele Konkurrenten, wie beispielsweise den Peugeot 404. Technisch übernahm sie viel von der Aurelia, aufwändige Details kamen hinzu. Das vollsynchronisierte Getriebe und die DeDion Hinterachse setzten sich durch, ein Heckwischersystem mit zwei Wischblättern innen und außen sowie ein Druckluftsystem zum Öffnen des dritten Seitenfensters schafften es nur in die erste Serie. Ab 1961 gab es Scheibenbremsen an allen vier Rädern, ebenso stieg die Motorleistung des V6 von 102 auf 110 PS. Wieder war die Flaminia teurer als die Konkurrenz von Mercedes-Benz oder Jaguar und verkaufte sich dementsprechend schlecht. Knapp 4000 Limousinen wurden bis 1970 gebaut. Pininfarina, Touring und Zagato schufen zusätzliche Coupés und Cabriolets.

Lancia auf neuen Wegen

In der oberen Mittelklasse beschritt Fessia ab 1960 mit der Flavia komplett neue Wege, Frontantrieb mit Gleichlaufgelenken und Boxermotor. Seit 1919 erstmals ein Motor, der keine V-Form hatte. Mit einem Hubraum von 1500 ccm zunächst untermotorisiert, schuf zunächst der 1800er Abhilfe, später kamen der 2000er Motor als Vergaser- oder Einspritzer-Variante.

Als Nachfolger der Appia kam 1963 die Fulvia. Der Frontantrieb basierte auf der Flavia, der Motor war wieder ein V4 im schmalen Winkel, der aus Platzgründen um 45 Grad geneigt eingebaut wurde. Zeitlos grazil designt, kam 1965 das Fulvia Coupé auf den Markt. Ein Meisterwerk von Pietro Castagnero und es fuhr zudem sehr erfolgreich im Rallyesport. Ebenfalls sehr schön und besonders, die Fulvia Sport Zagato.

Lancias Schuldenberg wuchs weiter an und 1969 ging das Unternehmen für einen symbolischen Betrag an FIAT. Der Gamma sollte bei FIAT die obere Mittelklasse bedienen und übernahm gestalterische Elemente des Citroën CX. Wenn man so will ein Überbleibsel einer 1972 gescheiterten Kooperation. Technisch gleich, vom Design komplett anders, mauserte sich das Gamma Coupé hingegen zu einem der schönsten Fahrzeuge der 70er Jahre und ist heute ein gesuchter Youngtimer.

Der Stratos – Kompromissloser Keil

Lancias bestes Auto der 1970er Jahre bleibt jedoch der Stratos. Ausschließlich für den Rallye-Einsatz konzipiert, bewies er die technische Überlegenheit Lancias in den Jahren 1974 bis 76 in der Konstrukteursmeisterschaft, eine Fahrerwertung gab es noch nicht. Einschränkend darf man aber nicht verschweigen, dass der V6-Motor von Ferrari stammte.

Als Nachfolger der Fulvia präsentierte der Eigentümer FIAT den Beta. Bei Markenfreunden war die Limousine unbeliebt, Coupé und Spider fanden hingegen Anklang. Eine Besonderheit stellt in der Beta-Familie der Montecarlo dar. Das Mittelmotor-Coupé mit Zweiliter Doppelnockenwellen-Motor von Aurelio Lampredi leistete 120 PS und bildete die Basis für den 037.

Der Delta – Nicht nur auf der Rallyepiste erfolgreich

In der Kompaktklasse punktete Lancia ab 1979 mit dem Delta. Vom Konzernbruder Ritmo abgeleitet, war er besser gestaltet als dieser und überzeugte mit umfangreicherer Serienausstattung. Oft kopiert wurde seine Camuffo-Hinterachse. Auch wenn anfänglich kein Rallye-Einsatz für den Delta geplant war, präsentierte die italienische Marke bereits 1982 einen Prototypen mit Allradantrieb und 1,6 Liter Turbomotor. Der Rest ist Rallye-Legende. Der Delta S4 war das erste Auto indem gleichzeitig ein Kompressor und ein Abgasturbolader für Ladedruck sorgten. Lancia machte damit den Quattros von Audi ordentlich Druck in der Gruppe B. Zu Homologationszwecken gab es diesen Motor auch in der Stradale Variante des S4.

Ein letztes großes „Erstes Mal“ im Automobilbau gab es im Thema der Y9 Baureihe. Angestoßen in einer Kooperation zwischen Saab und Lancia, stiegen später noch Alfa und FIAT mit in das Projekt ein. Angetrieben wurde er von Zweiliter Motoren mit Turbo, dem PRV V6 mit 90 Grad Zylinderbankwinkel und einem V6 von Alfa. Das Topmodell war jedoch der Thema 8.32. Ferraris V8 aus dem 308 GTB in Crossplane Bauweise für den Lancia. Der Heckflüges diese Über-Themas war serienmäßig elektrisch ausfahrbar. Damit gelang Lancia die erste aktive Aerodynamik an einem Auto.

Lancia kann auf eine lange Tradition der Pionierleistungen im Automobilbau zurückblicken. Egal, ob man eine Mille Miglia fahren möchte oder Rallye-Luft schnuppern, eine elegante Limousine für die Oper oder das passende Cabriolet für den Comer See sucht, den wendigen Stadtflitzer oder das Reise-Coupé braucht, Lancia bietet für jeden das passende Auto. Die richtige Technik gibt es serienmäßig.

Text Ralf Hintze Fotos Fiat Chrysler Automobiles, Classic Trader

Autor: Classic Trader

Die Classic Trader Redaktion besteht aus Oldtimer-Enthusiasten, die Euch mit spannenden Geschichten versorgen. Kaufberatungen, unsere Traum Klassiker, Händlerportraits und Erfahrungsberichte von Messen, Rallyes und Events. #drivenbydesire

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