BMW Design – Stetiger Wandel von Barock zu Bangle

BMW Design (39)

Design ist Geschmacksfrage. Aber auch viel mehr als das, es ist Ausdruck von Zeitgeist, Einflüssen aus anderen Bereichen und nicht zuletzt auch immer eine Abwägung von Vernunft und Mut. Exemplarisch kann man beim BMW Design den Weg von barocken zu kantigen Formen nachzeichnen.

Der Nierenstreit – Die Kontroverse um die Größe des Kühlergrills

Als die Bayerischen Motoren Werke 2019 den X7 (Baureihe G07) und 2020 den neuen 4er G22 beziehungsweise G23 als Cabriolet präsentierten, ging ein Aufschrei durch die Automobilszene – zumindest bei denen, die es nicht so sehr mit dem Münchenern halten.

Der Kühlergrill, die typische BMW-Niere sei bis ins groteske und obszöne gewachsen. Aber da sind wir wieder beim Thema Geschmack. Die BMW Design-Entwickler verteidigen die Niere mit dem Ausdruck von Selbstbewusstsein und Stärke, Skeptiker trauern den kleineren Nieren eines E30 hinterher.

Zugegeben ist es auch nicht einfach, es allen recht zu machen, zumal Designer nicht ein Auto für jetzt oder morgen entwickeln, sondern heute ein Fahrzeug zeichnen müssen, was in vielleicht frühestens zehn Jahren auf die Straße kommen soll.

Gerade wenn man etwas Innovatives auf die Beine stellen, gegen den Strom schwimmen möchte, wird es besonders gewagt. Viele Automobilmarken versuchen neue Trends, reüssieren oder scheitern damit.

BMW Design 327 1937
BMW 327 1937

Als BMW Design noch Münchner Barock hieß

Beginnen wir die Betrachtung der BMW-Modelle nach dem zweiten Weltkrieg. Nachdem die Eisenacher Produktionsanlagen in der sowjetischen Besatzungszone lagen und auch die Fabrik in München neu aufgebaut werden musste, befasste man sich in Bayern ab 1948 mit der Entwicklung eines neuen Autos.

Die Rahmenbauweise, die sich in der Vorkriegszeit bewährt hat, wurde beibehalten und darauf setzte Peter Szymanowski eine Karosserie, die dem damalige Zeitgeist für eine repräsentative Limousine entsprach. Mit dem Reihen-Sechszylindermotor ausgestattet wurde daraus der BMW 501, mit dem neu entwickelten, erstmals in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg konstruierten V8-Motor der BMW 502. Beide werden teils anerkennend, teil spöttisch als Barockengel bezeichnet.

Die Linienführung war noch ziemlich an der früheren Kutschenform orientiert. Um Macht und Bedeutung der Insassen zu dokumentieren, sollte auch die Karosse nach außen einen gewissen Prunk verkörpern. Bauchige vordere Kotflügel zogen sich bis weit nach hinten zu den ebenfalls bauchigen hinteren Kotflügeln. Ein Stilelement, was sich nicht nur BMW zu Eigen machte, auch die Rolls-Royce der 50er griffen es auch. Oder in der sportlicheren Form auch der von William Lyons entworfene Jaguar XK 120.

Eines der großen Ziele, das BMW mit dem 501/502 auch im Sinn hatte, auf dem ganz großen Parkett der Bonner Republik vorzufahren, scheiterte m damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer. Wie die Legende besagt, konnte er in den BMW nicht einsteigen, ohne den Hut abzunehmen. Also wurde der Mercedes-Benz 300 nicht nur die Staatskarosse des Bundeskanzlers, sondern auch als Adenauer-Mercedes gemeinhin bekannt.

Dennoch reüssierte der BMW in den Machtschichten darunter und wurde als Streifenwagen sogar Fernsehstar.

BMW Design 502 V8 (38)
BMW 502 V8 1954

Alles neu beim BMW Design unter Paul Bracq in den 70ern

1970 begann eine neue Zeitrechnung im BMW Design. Über einen kleinen Umweg über Frankreich kam Paul Bracq nach München. Zuvor hatte er bei Mercedes-Benz der Marke neue Schwung verschafft mit automobilen Meilensteinen wie der „Pagode“ oder dem W 100.

Fast genauso wie bei Mercedes zuvor hatte BMW eine Runderneuerung und einen frischen Anstrich nötig. Die Neue Klasse, die 02-Serie und der E3 konnten eine Auffrischung gut gebrauchen und Anfang der 70er-Jahre mit den Olympischen Spielen in der eigenen Stadt wollte BMW ohnehin mit Dynamik und Sportlichkeit gegen den Stuttgarter Konkurrenz punkten.

Genau das richtige Terrain also für den jungen Franzosen, um das Markenbild komplett und Baureihenübergreifend auf links zu drehen. Dabei begann er mit dem E12, der die bis heute gängige Nomenklatur von 5er-Reihe und den größeren und kleineren Geschwistern begründete. Man sieht dem E12 auf Anhieb an, dass er erstens ein BMW ist und zweitens von Paul Bracq gezeichnet wurde.

BMW Design Paul Bracq (10)
Paul Bracq

Man sieht klare, verbindliche Linien, den Hofmeister-Knick an der C-Säule als Reminiszenz an seinen Vorgänger Wilhelm Hofmeister und einen eleganten Understatement-Auftritt. Was im Vergleich zum Vorgänger deutlicher zu Tage tritt, ist die Sportlichkeit. Die vier runden Scheinwerfer, für die Bracq die rechteckigen von einer Bertone-Studie geopfert hatte, und der Überhang der Motorhaube; beides sorgt dafür, dass der 5er BMW im Rückspiegel des Vorausfahrenden aggressiv wirkt. Auch im inneren begründetet BMW beim E12 dank Bracq den Trend zum fahrerbezogenen Cockpit.

Bei allen seinen BMW-Projekten blieb Paul Bracq einerseits seiner Linie treu, andererseits ließ er jedem Modell sein eigenes Charakteristikum zuteilwerden. So erhielt die 3er-Reihe E21 in den kleineren Motorisierungen nur zwei anstelle von vier Scheinwerfern und nur eine Reihe an Schlussleuchten; das 6er-Coupé E24 wiederum wurde ganz auf Sportlichkeit getrimmt, am Auffälligsten in der als „Haifischmaul“ bekannten Front zu sehen.

Die 7er-Reihe E23 wiederum stand im nahezu aussichtslosen Kampf, die S-Klasse von Mercedes-Benz in die Schranken zu weisen. So musste der E23 elegant, aber nicht abgehoben; viril aber nicht protzig und am besten einfach ein Stückchen beliebter als der Stuttgarter sein.

Man munkelt, dass das direkte Messen mit Mercedes auch mit der Grund für den Abgang Paul Bracqs bei BMW gewesen sein soll. Damit das Kofferraumvolumen des E23 nicht kleiner ist als das seines Gegenspielers, soll Bracqs ursprünglicher Entwurf überstimmt worden sein. Und das lässt sich wohl kaum ein Designer gerne sagen, dass man seinem gründlich durchdachten Werk ein dickeres Heck verpassen müsste, um mehr Platz zu bieten als die Konkurrenz.

Bewährtes und Brüche unter Chris Bangle

1992 folgte der nächste einschneidende Wechsel im BMW Design: Chris Bangle traf seine Stelle als Chefdesigner in München an. 17 Jahre sollte Bangle an der Spitze von BMW Design stehen. Er prägte eine Epoche, stand aber mitunter auch hart in der Kritik, selbst – oder vielmehr gerade – bei eingefleischten BMW-Fans.

Neben kontroversen Modellen finden sich aber auch eine Reihe sehr erfolgreicher Autos in der Ära Bangle. Der von FIATs Centro Stile abgeworbene Amerikaner setzte gleich mit dem ersten Fahrzeug, das unter seiner Leitung auf den Markt kam, ein Ausrufezeichen: Der BMW Z3 war nicht nur ein kommerzieller Erfolg, er wusste auch unterschiedlichen Käuferschichten zu gefallen.

Eine lange Motorhaube, kurze Überhänge und die seitlichen Lufteinlässe als Reminiszenz an den legendären 507 waren nur einige Zutaten, die den Roadster so stimmig machten. Gewagter war da schon das Coupé. Das Kombi-ähnliche Heck verpasste dem Auto nicht nur den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Turnschuh“, die Anzahl von etwa 18.000 verkauften Coupés – im Vergleich zu fast 280.000 verkauften Roadstern – sprechen eine deutliche Sprache.

„Love it or leave it“ soll Bangle selbst als Einschätzung zum Produktionsstart gesagt haben. Interessanterweise ist heute als Klassiker das Coupé gefragter denn je. Manchmal braucht Design wohl auch einfach Zeit, um zu reifen.

Mit der 3er-Reihe E46 und dem 5er E39 traf Bangle wieder den Geschmack einer breiten Käuferschicht. Auch der X5 E53 kam zur rechten Zeit auf den Markt, gerade mit Blick in die USA war die Zeit reif für einen SUV „made in Munich“, wobei der E53 passenderweise gleich in South Carolina gefertigt wurde.

Klassizistisches und Extremes beim BMW Design

Dann war da noch ein Meilenstein in der BMW-Historie, der Z8. Der federführend von Henrik Fisker entworfener Roadster war eine Hommage an den legendären 507. Die breiten Nieren, die seitlichen Lufteinlässe, die Linienführung, alles am Z8 erinnerte an das Vorbild. BMW gelang es allerdings, den Roadster mehr als gelungen in die Neuzeit zu übersetzen. Nicht nur die überschaubare Anzahl an Käufern, die sich den Wagen zum Preis von anfangs 235.000 DM leisten konnten, waren begeistert. Auch der berühmteste Geheimagent ihrer Majestät ließ den Z8 auf der Leinwand strahlen.

Mit dem Nachfolger der 7er-Limousine E38, dem E65 beschritt BMW aber einen neuen Weg und das Bangle-Bashing begann. Einiges an Kritik war gewiss nachvollziehbar, anderes schoss etwas über das Ziel hinaus; fraglos polarisierte der E65. Während der Vorgänger noch eine klassische Oberklassen-Linienführung aufwies, setzte Bangle im neuen 7er auf andere Attribute. Die Proportionen wuchsen und eckten an, ähnlich wie einige Jahre zuvor Mercedes-Benz mit dem W 140 allzu proper daherkam.

Die Scheinwerfer mit geschwungenen unteren Linien wurden als Tränensäcke verspottet, vor allem aber der ausladende Hintern mit dem aufgesetzten Kofferraumdeckel wurden sehr kritisch gesehen. Dass der Grund für diese hohe Hecklinie auch neuen Sicherheitsbestimmungen geschuldet war und dass beispielsweise in Stuttgart die S-Klasse der Baureihe 221 vier Jahre später auch einen ähnlich aufgesetzten Kofferraumdeckel trug, vermochte die Kritiker nicht zu besänftigen.

So bleiben von der Zeit von Chris Bangle vor allem die Kontroversen um den E65 und auch den später folgenden 6er E64 in Erinnerung. Dass beispielsweise der 5er E60, der Z4 oder der erste 1er BMW kommerziell sehr erfolgreiche Autos waren und ebenfalls unter der Federführung von Chris Bangle entstanden, geht da teilweise etwas unter. Ebenso wie die Tatsache, dass er als Gesamtverantwortlicher der BMW Group auch die Neuauflage des Mini mitgetragen hat, genauso wie den Rolls-Royce Phantom VII ab 2003.

Wenn man sich heute also allzu sehr über allzu große Nieren oder aggressive Erscheinungsformen aufregt, lohnt ein Blick auf die Historie. So wie unter anderem Wilhelm Hofmeister, Paul Bracq oder Chris Bangle neue Impulse setzten und auch durchaus aneckten, so wird der Blick auf die Autos ein anderer sein, wenn man sie mit etwas Abstand und im historischen Gesamtkontext betrachtet.


Fotos BMW AG

Autor: Paolo Ollig

Paolo Ollig schreibt als Chefredakteur regelmäßig über alle Raritäten und Meilensteine der Automobil- und Motorrad-Geschichte. Traum-Klassiker: Lamborghini Countach und Mercedes-Benz 300 SL. Eigener Klassiker: Mercedes-Benz 230 CE (W123) von 1981.

Weitere Artikel

CT0324-Magazin-Mockups

Classic Trader Magazin 3/2024 – Garagengold

Das neue Classic Trader Magazin 3/2024 ist da! Wir werfen einen Blick auf das „Garagengold“ – besonders teure und werthaltige Automobile, und auf Autos mit besonders gutem PS-Preis-Verhältnis.  weiterlesen Classic Trader Magazin 3/2024 – Garagengold

Oltimertage Mühlengeez 2024

Oldtimertage Mühlengeez 2024 – Mehr als 1.000 Klassiker erwartet

Am 11. und 12. Mai 2024 öffnet das Messegelände in Mühlengeez bei Güstrow zum sechsten Mal seine Tore für alle Oldtimerfans.  weiterlesen Oldtimertage Mühlengeez 2024 – Mehr als 1.000 Klassiker erwartet

Dennis Adler Ferrari Motorbuch Verlag Cover

Buchtipp | Ferrari – Leidenschaft und Emotionen seit 1947

Larger than live – Enzo Ferrari war kein großer Rennfahrer, kein genialer Motorenmann und seine Fahrer waren ein für ihn notwendiges Übel. weiterlesen Buchtipp | Ferrari – Leidenschaft und Emotionen seit 1947