Vergessene Rennstrecken | AVUS – 100 Jahre Rekorde und Risiko

AVUS 1954 Mercedes Benz Fangio Kling

Fast so sehr wie die Piloten und Boliden sind manche Rennstrecken ebenfalls Stars des Motorsports. Wer hält nicht die Luft an, wenn mit Vollgas durch die Eau Rouge-Kurve in Spa geschossen wird oder nickt wissend, wenn die Begriffe Parabolica, Schwalbenschwanz oder Loews fallen? Von Monza bis Monaco, von AVUS bis Zolder, auf vielen der legendären Strecken wird heute noch gefahren. Es gibt aber auch die verlassenen und zugewucherten Strecken – teils direkt neben den aktuell noch in Betrieb befindlichen Passagen –, auf denen große Siege gefeiert und große Dramen beweint wurden.

AVUS – Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße

An die glorreichen Zeiten der Berliner AVUS erinnern aktuell nur noch die Fragmente der Tribünen am Messegelände. Ihre wechselvolle Vergangenheit ist trotzdem nicht vergessen, gerade in diesem Jahr, in dem die Strecke 100jähriges Jubiläum feierte. Viele Schicksale – einige davon glücklich, manche tragisch – sind untrennbar mit der Geschichte der Berliner Teilzeit-Rennstrecke verbunden.

So alt wie das Automobil ist, so alt ist auch die Geschichte des Wettkampfs und des Autorennens. Öffentliche Straßen, oder besser staubigen Pisten, eigneten sich kaum dafür, also musste eine reine Automobil- Straße her. Mit dem aktuellen Stand des Straßenbaus und ohne lästige Pferdefuhrwerke und deren Spuren.

Zum Bau einer Strecke in Berlin oder dem Berliner Umland hatten die Enthusiasten maßgebliche Unterstützung durch den Kaiser. Zähneknirschend sah er die deutschen Fabrikate bei Vergleichsfahrten weniger gut abschneiden als die ausländische Konkurrenz.

Um der jungen deutschen Automobilindustrie auf die Sprünge zu helfen, war er sehr daran interessiert, eine Versuchs- und Übungsstraße zu initiieren

Zur Überlegung standen neben Berlin konkret noch zwei weitere Standorte: die Lüneburger Heide und die Eifel. Letztere sollte später noch in anderem Zusammenhang zum Zuge kommen und als Nürburgring ganz eigene Geschichten schreiben.

Schlussendlich fiel die Wahl auf den Grunewald. Als Hauptstadt ging von Berlin eine ganz andere Repräsentationswirkung aus, daher wurde die Strecke vor den Toren Berlins ausgewählt – in der der Kaiserzeit waren Charlottenburg und der Grunewald noch nicht eingemeindet. Auch mit dieser Unterstützung beschloss der Kaiserliche Automobil-Club am 23. Januar 1909 die Gründung der Automobil-Verkehrs und Übungsstraße GmbH.

Eröffnung der AVUS 1937 Mercedes-Benz W 125 von Brauchitsch
Avus-Rennen in Berlin, 30. Mai 1937: In diesem formelfreien Rennen setzt Mercedes-Benz drei Stromlinienwagen auf Basis des Grand-Prix-Rennwagens W 125 ein. Manfred von Brauchitsch (Startnummer 36) siegt im zweiten Vorlauf. Den Hauptlauf gewinnt am Ende Hermann Lang mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 212,5 km/h.

Der Baubeginn der AVUS 1913

Sorgfältige Planung brauchte allerdings damals schon ihre Zeit. 1913 begann der eigentliche Bau der AVUS, mit Beginn des Ersten Weltkriegs kamen auch die Arbeiten zum Erliegen. Es sollte bis 1921 dauern, ehe die Arbeiten am Bau der AVUS fortgeführt werden sollten. Eigentlich fehlte nur noch der Straßenbelag, aber sechs Jahre Stillstand hatten Spuren hinterlassen. Zum einen hatte sich die Natur ihr Revier zurückerobert und Pflanzen wuchsen wieder über gerodete oder bebaute Flächen. Zum anderen wurden Teile der Bahn nach dem Ersten Weltkrieg sprichwörtlich aus der Not von den Berlinern verheizt. Aber nachdem der Bewuchs wieder entfernt und schadhafte Stellen wiederhergestellt wurden, konnte die Straße nach der Makadam-Bauweise errichtet werden.

Dabei werden drei Lagen mit jeweils unterschiedlich großen, gebrochenen und gut verdichteten Gesteinskörnungen übereinander geschichtet. Diese Technik existierte bereits im 19. Jahrhundert, um den Belastungen der motorisierten Fahrzeuge Stand zu halten und die Staubentwicklung zu unterbinden, ging man bei der AVUS dazu über, den Belag mit Teer zu binden.

Ursprünglich war die AVUS als Versuchsstraße geplant, gegen eine gesalzene Maut-Gebühr. Recht früh setzte aber schon der Realismus ein, dass die Kosten so kaum wieder hereingeholt werden können. Um die Strecke auch nachhaltig finanzierbar zu halten, dachte man also schon vor der Fertigstellung der Strecke darüber nach, Rennen auf der AVUS auszutragen, um so Geld in Kassen zu spülen.

AVUS 1951 Paul Greifzu Toni Ulmen Auto Union

Nach dem verzögerten Bau der Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße war es am 24. und 25. September 1921 endlich soweit: Die Schranken öffneten sich und die Automobile durften endlich die 19,573 Kilometer Strecke in Angriff nehmen.

Die Eröffnung der AVUS konnte natürlich nicht anders begangen werden als mit einem großen Rennwochenende. Das Hauptrennen gewann Lokalmatador Christian Riecken in einem NAG C 4 b. Die heute nicht mehr existierende Marke stammte aus Berlin-Oberschöneweide.

Die wirtschaftlich belastete und unsichere Zeit forderte allerdings ihren Tribut. Wegen der hohen Inflation fanden weniger große Rennsportveranstaltungen als geplant statt. Aber doch recht regelmäßig gingen von Kleinwagenrennen bis zu den großen Boliden beim ersten Großen Preis von Deutschland 1926 an den Start.

Fritz von Opels wilder Ritt auf dem RAK 2 Raketenauto

Die AVUS war aber in dieser Zeit auch immer Schauplatz für Rekordjagden jeglicher Art. Im Mai 1928 gelang Fritz von Opel im Raketenbetriebenen RAK 2 ein vielbeachteter Auftritt. Vor 3.000 geladenen, teils prominenten Gästen zündet der Abenteurer eine Zündstufe nach der anderen und erreicht einen neuen Rundenrekord mit der Spitzengeschwindigkeit von 238 km/h.

Die Geschwindigkeiten nahmen ab 1937 aber auch in den regulären Rennen noch mehr zu, als die überhöhte Nordkurve gebaut wurde. Die aus Ziegelsteinen gemauerte Steilkurve ermöglichte den teils stromlinienförmigen Rennwagen sagenhafte Geschwindigkeiten. Der Sieger von 1937, Mercedes-Benz Fahrer Hermann Lang, erreichte fast 400 km/h in der Spitze, Bernd Rosemeyer in seinem Auto Union-Boliden die lange danach nicht mehr erreichte Durchschnittsgeschwindigkeit von fast 280 km/h.

Die hohen Geschwindigkeiten, die gefährliche Steilkurve sowie die Beschaffenheit und Sicherheit der Strecke stellten aber zunehmend ein Sicherheitsrisiko dar. Der letzte Große Preis von Deutschland fand 1959 auf der AVUS statt. Der tödliche Unfall von Jean Behra überschattete den Sieg von Tony Brooks im Ferrari.

Bis in die 90er-Jahre hinein fanden noch Rennen von Tourenwagen und kleineren Formel-Klassen statt. 1998 wurde die Renntätigkeit schließlich eingestellt. Man darf gespannt sein, wie die Zukunft der Strecke und die Erinnerung daran aussehen wird.


Mehr zur Geschichte berühmter Rennstrecken finden Sie im Artikel über Brooklands oder Monza.


Fotos Audi AG, Mercedes-Benz AG

Autor: Paolo Ollig

Paolo Ollig schreibt als Chefredakteur regelmäßig über alle Raritäten und Meilensteine der Automobil- und Motorrad-Geschichte. Traum-Klassiker: Lamborghini Countach und Mercedes-Benz 300 SL. Eigener Klassiker: Mercedes-Benz 230 CE (W123) von 1981.

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