Kolumne Zeitsprünge | Audi 80 quattro – Weltmeister auf glatten Straßen

Audi 80 quattro 1984

Der Audi 80 quattro ist die billigste Möglichkeit, mit permanentem Allradantrieb zu fahren schreibt Jürgen Lewandowski im Jahr 1984. Dieser Artikel ist erstmals am 10.1.84 in der Süddeutschen Zeitung erschienen.

Der Quattro trägt einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Wiederauferstehung der Marke Audi – war es anfänglich nur das mittlerweile nahezu 70.000 Mark teure Coupé, das auf den Rallye-Strecken für Werbung sorgte, so sind nun die beiden Audi-80-Versionen mit Allradantrieb die besten Werbeträger des Hauses. Ferdinand Piëch, der Vorstand für Entwicklung und Technik, hatte ja bereits bei der Vorstellung des „großen“ Quattro auf dem Genfer Autosalon 1980 anklingen lassen, dass der permanente Allradantrieb in alle Modellreihen seines Hauses kommen würde – und als erstes Modell war der 80er dran. In diesem Sommer werden dann noch der Audi 100 und Audi 200 (gegen Aufpreis) mit dem Allradantrieb ausgerüstet werden – dagegen ist die Audi 100- und 200-Avant-Quattro-Version auf der Strecke geblieben. Die Marketing-Abteilung setzte die Zahl der zu verkaufenden Modelle so gering an, dass Piëchs Lieblings-Modell derzeit keine Chancen hat, in den Verkauf zu gelangen.

Nachdem man im Hause Audi den 80 Quattro anfänglich nur in einer Luxus-Version mit 136 PS zum Verkauf freigab, gibt es mittlerweile auch eine volkstümlichere Version – zwar noch nicht mit einem Vierzylinder mit 1,6 oder 1,8 Liter Hubraum, dafür aber mit einem 2,0-Liter-Fünfzylinder, dessen 115 PS (85 kW) den 1.190 kg schweren Allradler auf über 180 km/h beschleunigen. Das Ganze ist in eine schlichtere Optik verpackt, die den „kleinen“ Quattro ziemlich unauffällig macht.

Dieses Understatement lässt den Wagen denn auch zu einem erfreulichen Modell werden. Gerade auf verschneiten und glatten Straßen fährt er locker an teureren und prestigeträchtigeren Modellen vorbei, die mit Schneeketten um Traktion kämpfen. Steigern lassen sich diese Fahrkünste noch durch einen Zug an dem Knopf, der für die beiden Differenzialsperren zuständig ist. Sind beide Sperren zugeschaltet, ist das Fahren auch bei arktischen Schneeverhältnissen und auf steilen Straßen möglich.

Audi 80 quattro 1986

Audi 80 quattro – Der Schneekönig

Erstaunlich ist die Beschleunigung, die der permanente Allradantrieb ermöglicht: Auch auf glattem und rutschigem Untergrund lässt sich der Wagen beschleunigen, als ob er trockenen Boden unter den Rädern hätte. So sehr diese Eigenschaft bei Anfahrten am Berg und beim Überholen auf schlechten Straßen erfreut, so sehr erfordert sie auch einen festen Charakter, der rechtzeitig zur Kenntnis nimmt, dass das Erreichen hoher Geschwindigkeiten auf glattem Untergrund auch einen ausreichenden Bremsraum erfordert. Auf Schnee beschleunigen ist eben leichter, als rechtzeitig zu erkennen, dass eine Vollbremsung aus 80 km/h bei glattem Untergrund deutlich mehr Meter als auf trockener Straße benötigt.

Dazu kommt, dass der Audi 80 quattro als allradangetriebener Wagen auf glattem Untergrund ein sehr indifferentes Kurvenverhalten an den Tag legt: Er will mit kräftiger Hand und relativ geringer Geschwindigkeit in die Kurve geführt werden (da er hier kräftig untersteuert) und neigt ab dem Scheitelpunkt der Kurve beim Beschleunigen zum Übersteuern – das jedoch harmlos ist, da der Wagen sich durch die vier angetriebenen Rädern wieder selbst stabilisiert. Anders verhält er sich hingegen auf trockener Straße, da ist der Audi 80 quattro ein bemerkenswert gut und neutral liegendes Fahrzeug, das seine Lenker nie in Schwierigkeiten bringt.

Etwas anders sieht die Lage beim Komfort aus. Zumindest der Testwagen war so straff gefedert, dass er bei kurzen Bodenwellen schon lästig wurde – hier sollten die Fahrwerkstechniker noch einmal darüber nachdenken, ob straff und sportlich wirklich dasselbe sein müssen. Zu hart erschienen auch die Sitze, deren Seitenhalt zwar nicht schlecht war, auf langen Fahrten jedoch die nötige Schenkelunterlage vermissen ließen.

Der Fünfzylinder-Einspritzer zeigte sich von seiner sparsamen Seite: Er verbrauchte, je nach Fahrweise, zwischen acht und zwölf Litern Superkraftstoff auf 100 Kilometern – wer eine Wintersaison in den Alpen auf Schnee und Eis verbringt, dürfte vielleicht noch etwas mehr verbrauchen. Hohe Drehzahlen schätzten nicht so sehr, da wird er laut und rauh; die Männer um den Motoren-Entwicklungschef Fritz Indra haben sich jedoch erfolgreich darum bemüht, die 115 PS und das Drehmoment schon bei niedrigen Touren zu erreichen. Und so bietet das gut abgestimmte Fünfganggetriebe-Getriebe auch schon bei niedrigen Drehzahlen gute Anschlüsse.

Zur Karosserie des Audi 80 gibt es nicht mehr viel zu sagen: Die Audi 100- und 200-Modelle, haben gezeigt, wohin die optische Zukunft gehen wird. Der 80er ist – neben dem Coupé – ein letztes Überbleibsel der alten Linie. Und da es noch länger dauern wird, bis der Nachfolger bereitsteht (wahrscheinlich 1986), war es wahrscheinlich die vernünftigste Lösung, die Quattro-Technik zuerst in dieses Modell zu integrieren, um die Attraktivität dieser Baureihe noch einmal zu erhöhen. Und die Verkaufszahlen zeigen, dass sich diese Überlegungen als richtig herausgestellt haben. Und wer noch etwas Geduld hat, sollte bis zum Sommer warten, wenn eine optisch überarbeitete Variante, der Audi 90, auf den Markt kommt, die es ebenfalls als Quattro geben wird.

Der Audi 80 quattro bietet hervorragende Technik im schlichten Gewand zu einem gerade noch akzeptablen Preis – 27.890 Mark sind zwar eine Menge Geld, aber bei winterlichen Straßenverhältnissen weiß man schnell jede Mark davon zu schätzen.


Dieser Text ist erstmals in der Süddeutschen Zeitung vom 10. Januar 1984 erschienen.


Fotos Audi AG

Autor: Jürgen Lewandowski

Jürgen Lewandowski schreibt seit mehr als 40 Jahren über Menschen und Autos - und hat mehr als 100 Bücher veröffentlicht. Traumklassiker: Alfa Romeo 8C 2900 Touring Spider und Lancia Rally 037. Eigener Klassiker: Alfa Romeo R.Z. von 1993.

Weitere Artikel

CT0324-Magazin-Mockups

Classic Trader Magazin 3/2024 – Garagengold

Das neue Classic Trader Magazin 3/2024 ist da! Wir werfen einen Blick auf das „Garagengold“ – besonders teure und werthaltige Automobile, und auf Autos mit besonders gutem PS-Preis-Verhältnis.  weiterlesen Classic Trader Magazin 3/2024 – Garagengold

Oltimertage Mühlengeez 2024

Oldtimertage Mühlengeez 2024 – Mehr als 1.000 Klassiker erwartet

Am 11. und 12. Mai 2024 öffnet das Messegelände in Mühlengeez bei Güstrow zum sechsten Mal seine Tore für alle Oldtimerfans.  weiterlesen Oldtimertage Mühlengeez 2024 – Mehr als 1.000 Klassiker erwartet

Dennis Adler Ferrari Motorbuch Verlag Cover

Buchtipp | Ferrari – Leidenschaft und Emotionen seit 1947

Larger than live – Enzo Ferrari war kein großer Rennfahrer, kein genialer Motorenmann und seine Fahrer waren ein für ihn notwendiges Übel. weiterlesen Buchtipp | Ferrari – Leidenschaft und Emotionen seit 1947