120 Jahre Berlin – Potsdam – Tradition erfahren

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Fußgänger und Autofahrer erlebten am 27. Mai 2018 ein außergewöhnliches Spektakel auf den Straßen zwischen der Bundeshauptstadt und Brandenburgs Landeshauptstadt: Anlässlich der 120 Jahre Berlin – Potsdam sah man im üblichen Straßenverkehr ganz ungewohnte Fahrzeuge.

120 Jahre Berlin – Potsdam, das Original

London – Brighton ist Interessierten durchaus ein Begriff, 120 Jahre Berlin – Potsdam ruft zumeist eher ein Schulterzucken hervor. Auch wenn aktuell unter anderem BMW Motorräder und Mercedes-Benz Nutzfahrzeuge in der Region produziert werden und es mit der AVUS eine legendäre Stadt-Rennstrecke in der Vergangenheit gab, sind Berlin oder gar Potsdam nicht als Autostädte bekannt. Dabei sind die 120 Jahre Berlin – Potsdam keine konstruierte Veranstaltung, sondern tatsächlich die Begehung oder vielmehr „Befahrung“ eines konkreten Jahrestages. Die Anfänge liegen am 30. September 1897. An diesem Tag gründeten Geschäftsleute der jungen Automobilindustrie im Hotel Bristol unter den Linden den Mitteleuropäischen Motorwagen Verein MMV. Selbstverständlich wurde die Gründungssitzung mit einer gemeinsamen Ausfahrt in den Grunewald abgeschlossen. Die erste automobile Wettfahrt des Vereins wurde auf den 24. Mai 1898 terminiert. 13 Fahrzeuge fuhren vom Landesausstellungspark in Berlin Mitte an die Glienicker Brücke und wieder zurück auf das Landesausstellungsgelände. Die Wettfahrt hatte allerdings weniger den Zweck als sportliches Rennen, sondern diente vielmehr als Demonstration des Automobils als zuverlässige und bequeme Alternative zum damals üblichen Pferdefuhrwerk.

Dennoch sind die Fahrzeiten aus dem Jahr 1898 gut dokumentiert: Mit 2:08:30 Stunden gewann das Motordreirad (System Humber) von Schaller & Co., gefolgt vom viersitzigen Daimler Phaeton der Allgemeinen Motorwagen Gesellschaft mit 2:17:30 Std. Dahinter kamen das Motordreirad „Clemen“ derselben Gesellschaft (2:26:30) sowie Benz & Co. mit einem Viersitzer (2:34:30) und einem Zweisitzer (2:36:00) ins Ziel.

120 Jahre Berlin – Potsdam, das Revival

Eine Jagd nach den schnellsten Zeiten war für das Jubiläum 2018 nicht zu erwarten. Es gab einen gut vorbereiteten Plan, der Teilnehmern und Publikum eine unterhaltsame und abwechslungsreiche Ausfahrt bieten sollte, aber mit nötigen Pausen auch die hochwertigen Fahrzeuge schonen sollte.

Um nicht mit anderen Veranstaltungen im Innenstadtbereich zu kollidieren, ging es Sonntag früh am alten Zollpackhof in Berlin Mitte los. 26 Fahrzeuge versammelten sich zum Start im Regierungsviertel. Die Teilnahmeregeln waren einfach: Es gab lediglich ein nicht gerade geringes Mindestalter für die Fahrzeuge. So waren die jüngsten Motorwagen im Feld aus dem Baujahr 1900, die Ältesten von 1896. Dabei waren auch heute noch geläufige Hersteller-Namen wie Peugeot, Opel und Benz anzutreffen, aber auch völlig in der Versenkung verschwundene oder untergegangene Marken wie Hurtu oder Panhard & Levassor. Mit viel Sorgfalt bereiteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die betagten Vehikel für den Ritt von Berlin nach Potsdam vor. Einmal den Zündschlüssel umdrehen und losfahren mag für andere Fahrzeuge genügen, für 120 Jahre alte Motorwagen bedarf es mehr Vorbereitung und Hingabe. Dennoch musste ein Fahrzeug schon am Start auf den Abschleppwagen gehoben werden. Mehrere andere mussten auf dem Weg über den Kudamm und durch den Grunewald einen unfreiwilligen Stop wegen Überhitzung, Radbrüchen und anderen altersbedingen Eigenheiten und Gebrechen einlegen,  gerade in den langen und fordernden Streckenpassagen über den Kronprinzessinenweg oder die hügelige Havelchaussee.

Das bemerkenswerte an dieser Veranstaltung war, dass die Fahrzeuge nicht museal stumm präsentiert wurden, sondern in Aktion zu bewundern waren. An Teilnehmern, Ordnern und den zahlreichen Beobachtern am Wegesrand konnte man deutlich das Interesse und die Begeisterung darüber ablesen, die automobilen Kulturgüter live und in Farbe auf der Straße fahrend zu sehen. Und so unterbrachen viele Passanten ihren Sonntagsausflug, um den Parade der betagten Motorwagen passieren zu sehen. Auch Berlins automobile Grande Dame Heidi Hetzer, von Motorenklang und Benzingeruch angelockt, ließ sich die 120 Jahre Berlin – Potsdam nicht entgehen. Ihr ging es wie allen anderen, die die Fahrzeuge mit allen Sinnen erleben konnten. Die Geräusche, die Gerüche und nicht zuletzt die doch beachtliche Geschwindigkeit, die diese frühen Autos aus dem Stand zu fahren im Stande sind, machte diese Event tatsächlich zu einem außergewöhnlichen. Bleibt zu hoffen, dass diese automobilen Kulturgüter nicht wieder 120 Jahre in Sammlungen verschwinden.

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Text und Fotos Paolo Ollig, Classic Trader

Autor: Paolo Ollig

Paolo Ollig schreibt als Chefredakteur regelmäßig über alle Raritäten und Meilensteine der Automobil- und Motorrad-Geschichte. Traum-Klassiker: Lamborghini Countach und Mercedes-Benz 300 SL. Eigener Klassiker: Mercedes-Benz 230 CE (W123) von 1981.

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