Laverda – Maskulin, solide und stabil

Laverda 750 SFC (1)

Das schnellste Rennmotorrad der Welt kam einst aus Breganze: 283 km/h auf der Mistral-Geraden! Was für eine Ansage von Laverda! Es ist der 16. September 1978 und mit infernalischem Heulen spult eine leuchtend orange Rennmaschine Runde um Runde des Circuit Paul Ricard bei Le Castellet ab.

Auf der „Mistral“ schnupft sie die favorisierten Honda. Die orange Laverda läuft nahezu 40 km/h schneller als die sieggewohnte Honda-Fours. Dabei ist die einsame V 6-Laverda kein Rennmotorrad, sondern ein reiner Versuchsträger, ein mobiles Denkmodell, ein aus der Idee in kurzer Zeit entworfener Prototyp.

Der wassergekühlte V 6 mit zwei obenliegenden Nockenwellen pro Zylinderbank lässt Kenner schmatzen. Motor stammt aus der Hand von Guido Alfieri. Der Maestro zeichnete den Antrieb als 2, 7 l-Variante für Maserati und da Citroën Anteilseigner bei der Modeneser Sportwagenschmiede ist, motorisiert der aufwändige V 6 auch Citroëns Spitzenmodell, das Sportcoupe SM.

Vom Land auf die Rennstrecke

Letztendlich ist es nicht der Motor, der die Laverda nach 7 ½ Stunden an die Box verbannt, sondern ein Standardteil „Made in Germany“: Das Kreuzgelenk der Kardanwelle zum Hinterrad ist auf Dauer den 140 PS der 1000er V 6 nicht gewachsen und kapituliert. Bei BMW hatte das Teil höchstens 70 Pferde auszuhalten. Doch der Zenit ist erreicht und der Ausfall des orangenen Hoffnungsträgers signalisiert den Anfang vom Ende der kleinen, aber feinen Motorradmarke aus dem Veneto.

Mit Produkten für ihre ländliche Umgebung ist die Familie seit 1873 zu Wohlstand gekommen. Die beginnende Mechanisierung der Landwirtschaft lässt die Geschäfte gut gehen, und Laverda entwickelte sich in den nächsten Jahrzehnten zum größten Arbeitgeber am Ort.

Francesco Laverda, Sohn des Gründers Pietro, erkennt 1946 den riesigen Wunsch nach bezahlbarer Mobilität. So entsteht Ende 1948 ein 75er OHV-Single mit 3 PS im starren Pressstahlrahmen, der den Motor unter dem Rahmen trägt. Die 75er besitzt bereits einen Kettenkasten aus Leichtmetallguss, denn einer der ersten Kunden, ein Priester, befürchtet seine Soutane könnte sonst in die Kette geraten.

Mit neuem Rahmen und mehr Dampf aus den 75 cm³ belegt Laverda 1952 in der Klasse bis 75cm³ beim Straßenrennen Milano-Taranto die Plätze 1 bis 15, abgesehen von einer Guzzi auf Platz 6 und einer Alpino auf Platz 8!

Nun ist das Eis gebrochen und die kleinen Laverda sind in aller Munde und gut im Verkauf. Kleine Motorrädchen mit 100 und 200 cm³ sowie Roller und Mopeds bilden um 1960 das Laverda-Produktionsprogramm. Doch FIAT 500 und 600 samt Piaggio setzen der Breganzer Familienschmiede gewaltig zu.

Laverda – Impulse aus der Neuen Welt

Auf der anderen Seite des Atlantiks mausert sich der Motorradmarkt: Auf einer USA-Reise erkennt Massimo Laverda im Motorrad einen spannenden Freizeitartikel für die neue Mittelschicht. Der Laverda Importeur Jack McCormack formuliert, gegenüber Massimo und Piero angesichts einer Honda CB 77 „Hawk“ mit 305 cm³, den Anspruch an eine Laverda neu. Das neue Laverda-Motorrad soll die Zuverlässigkeit einer Honda mit dem Komfort einer BMW und der Spritzigkeit einer Norton vereinen.

Dazu passt, dass bei Laverda ein Generationswechsel ansteht: Massimo und Piero lösen Vater Francesco ab.

So findet sich auf dem 1966er Laverda-Stand der Londoner Earls Court Show neben 125ern und der 200er ein 650er Twin, der die Konkurrenz – ob seiner Modernität – schockt: Kurzhubige Auslegung, obenliegende Nockenwelle, fünf Gänge und ein elektrischer Anlasser kann in dieser Klasse niemand bieten. 1968 wird aus der 650er durch Aufbohren eine 750er. Die 750 SuperFreni („Super-Bremse“) entwickelt sich 1970 und 1971 zur bestverkauften 750er Italiens. Ihre Wettbewerbsschwester 750 SFC („C“ für „Competizione“) entsteht in drei Tranchen bis 1976 und verteidigt Laverdas Ehre in vielen, damals populären, europäischen Langstreckenrennen. Bis 1977 entstehen rund 19.000 650er und 750er Laverda-Twins.

Typisch Laverda ist die robuste Auslegung der Maschinen sowie die hochwertigen Zulieferteile. Grazile Diven gibt es bei Ducati. In Breganze baut man maskulin, solide und stabil aber mit hohem Schwerpunkt und heftigen Bedienkräften. Meine Frage nach der typisch schwergängigen Kupplung beantwortet Piero mit einem Lächeln: „Wir haben damals in Fahrt doch nicht gekuppelt, das ging auch auf der Landstraße zu wie im Rennen!“ So waren die frühen 1970er.

„Passione, Competizione e Eleganza“ bilden die Dreifaltigkeit der Breganzer Famiglia. Kunden wie Händler lebten die Marke mit Leidenschaft. Dazu passt auch der Werbestil mit dem Studio Vajenti in Vicenza: Sehnsucht erzeugende Bildkompositionen in denen Männer
männlich und Frauen herrlich sind.

Doch das Wettrüsten geht weiter! Über 750 und 900 cm³ landen die Big Bikes beim vollen Liter. 1975 erscheint die 1000 3C als stärkste Großserienmaschine der Welt. Markantestes Detail ist die Kurbelwelle, deren mittlere Hubzapfen um 180 Grad versetzt sind. Ein unbarmherzig drückender Drillung mit tollem Fahrwerk, aber schwer, teuer und fordernd. Doch das dünne Servicenetz, die kleinen Stückzahlen und Vorbehalte gegen die Marke lassen Laverda am Mainstream vorbeisegeln. Nur von Enthusiasten kann Laverda nicht leben; Mähdrescher und Wohnwagen ergänzen das Programm. Der V 6 hätte es reißen können, Massimo setzt alles auf Rot. Doch weder das Potential der V 6 noch die pfiffige Twin „Alpino 500“, die intensive Modellpflege an den Drillingen oder die gut verkäufliche 125er (mit Zündapp-Motor!) wenden das Schicksal; auch ein tüchtiger 4 x 4 bringt kein Geld in die Kasse. Mitte der 1980er strandet die italienische Motorradindustrie in Schließungen: Benelli, Ducati und Laverda sind mit dabei.

1991 entstehen unter der Zanini-Group „Nuovo Laverda“ mit dem luft-ölgekühlten 668 cm³-Motor die Enduro „700 El Cid“ und ein kompakter Sporttwin. Aus dieser Vorarbeit ließ Franceso Tognon 1993 die „I.MO.LA. – International Motorcycles Laverda“ westlich von Breganze in Zane entstehen. Doch der rechte Erfolg bleibt aus. 2000 wird „I.MO.LA.“ von Aprilia in Noale übernommen und der Standort Zane geschlossen. Aprilia wiederum wird 2004 von Piaggio geschluckt und so endet der Markenname in den Herzen der Fans und einem Hängeregister in Pontedera…


Text und Fotos Andy Schwietzer / PS.SPEICHER

Autor: PS.SPEICHER

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