Wie Sōichirō Honda ein Imperium aufbaute und die Welt das Fürchten lehrte

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Es gibt heute keine Autofirmen mehr, in denen die Chefs das absolute Sagen haben – na gut, vielleicht beim KIA-/Hyundai-Konzern oder bei Pagani – aber eigentlich sind Männer wie Giovanni Agnelli, Henry Ford (Gründer und Enkel), Sir William Lyons, Ferry Porsche oder Ferdinand Piëch aus der Automobilwelt verschwunden. Eine Liste von tatkräftigen, innovativen und durchaus risikofreudigen Männern, denen man noch einen weiteren Namen hinzufügen muss: Sōichirō Honda.

Sōichirō Honda war ein ungewöhnlicher Mann. Zwar konnte und wollte niemand bestreiten, dass Honda jenes unbezahlbare Händchen dafür hatte, zur rechten Zeit mit der richtigen Idee aufwarten zu können – sein ausgeprägtes Selbstbewusstsein und sein für Japaner nur schwer nachvollziehbarer Hang zur Individualität (bei gleichzeitiger Infragestellung vieler japanischer Dogmen) ließen ihn jedoch zu einem zwar akzeptierten Außenseiter werden, dessen Ansichten und Erkenntnisse aber nur schwer vermittelbar waren. Sōichirō Honda war ein genialer Dickschädel, der zudem noch – und das bestätigte er in seinen Memoiren – leicht dazu neigte, einmal getroffene Entscheidungen mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit zu verteidigen.

Der Dickkopf und das Ultimatum

So hatte Sōichirō Honda in den frühen 70er Jahren mit dieser Neigung seine eigene Firma praktisch an den Rand des Ruins getrieben, als er (gegen den Rat seiner Ingenieure) an der Konzeption luftgekühlter Pkw-Motoren festhielt, die den Anforderungen einer stetig schärfer werdenden amerikanischen Abgasgesetzgebung nicht mehr entsprechen konnten. Es blieb dem Kompagnon und Firmenmitbegründer Takeo Fujisawa vorbehalten, das drohende Unheil mit einem Ultimatum abzuwenden, das es in dieser Form in der japanischen Industrie nie zuvor gegeben hatte: Fujisawa stellte Honda vor die Alternative, entweder Präsident der Honda Motor Company Ltd. zu bleiben und auf die Realisierung seiner Ideen zu verzichten – oder wieder als einfacher Ingenieur ins Glied zurückzutreten und in dieser Position selbst an der Perfektionierung seiner Ideen weiterzuarbeiten.

In seinen Memoiren liest sich diese entscheidende Phase so: „Ich musste mich schnell entscheiden. Fujisawas Erklärung hatte mich erschüttert, aber ich begann zu begreifen, wohin mich mein Eigensinn geführt hatte. Meine Antwort war klar: Ich wollte Präsident bleiben. Das hieß aber auch, dass ich unseren Ingenieuren ohne Hintergedanken erlauben müsste, am System der Wasserkühlung zu arbeiten, das ich drei Jahre lang stur abgelehnt hatte.“

Sōichirō Honda (japanisch 本田 宗一郎) wurde am 17. November 1906 als erstes von neun Kindern eines Dorfschmieds in Kōmyō in der Präfektur Shizuoka in Japan geboren – und als er am 5. August 1991 verstarb, hatte der 85jährige ein Unternehmen von Weltruf aufgebaut.

Wie so viele der Gründer großer Unternehmen war auch Sōichirō Honda ein Selfmade-Man. Seine Kindheit verbrachte er in der Werkstatt seines Vaters, dem er bei den Reparaturen half. Dazu eröffnete der Vater 1917 oder 1918 eine Fahrradhandlung und Reparaturwerkstatt und dazu auch eine Zeitschrift mit dem Titel Die Welt der Räder abonniert, die Sōichirō mit großer Begeisterung las. Der Wunsch, mit Motoren umzugehen, steigerte sich von Tag zu Tag. Mit jedem Artikel, mit jeder technischen Beschreibung und mit jedem Foto wuchs die Begeisterung: „Ich hatte schließlich nur noch eine fixe Idee, mit Motoren zu arbeiten, Maschinen zu erfinden und mich mit Maschinenöl und -fett vollzuschmieren“.

Im Alter von 16 Jahren ging Honda nach Tokio, wo er eine Lehrstelle in einer Autowerkstatt annahm. Während des sechsjährigen Aufenthalts blieb Honda Herrn Sakakibara und seiner Shokai-Gesellschaft treu. Er lernte alles, was damals zum Automobilbau, zur Reparatur und zum Fahren gehörte, und die Vielzahl der Marken, die zur Reparatur kamen, brachte reiche Erfahrung.

1928 bekam der Zweiundzwanzigjährige das Angebot, eine Filiale der Shokai-Werkstätten in Hamamatsu zu eröffnen. Und so kehrte er stolz in seine Heimat zurück, ließ eine große Tafel „Shokai-Werkstätten – Außenstelle Hamamatsu“ aufstellen. Zu dieser Zeit begann Honda mit der Teilnahme an diversen Rennen, doch nach einem schweren Verkehrsunfall, bei dem er sich mehrere ernsthafte Verletzungen und Knochenbrüche zugezogen hatte, wurde er von seiner Frau aufgefordert, dieses Hobby aufzugeben.

Durch seine Arbeit in der Werkstatt offenbar nicht ausgelastet, gründete er zuerst eine Firma, die erfolgreich Stahlfelgen produzierte – Honda hatte beim großen Erdbeben in Tokyo gesehen, wie zuerst die Holzfelgen und dann die Fahrzeuge verbrannten – dann folgte 1937 die Gründung von Tokai Seiki Heavy Industry (TSHI), ein Unternehmen, das Kolbenringe produzierte. Dieses verkaufte Sōichirō Honda elf Jahre später (1948) zum Preis von 450.000 Yen an Toyota.

Noch im selben Jahr (1948) gründete Honda die Honda Corporation mit der Produktion von Motorrädern. Nach dem ersten Motorrad folgte ein dreirädriges Lastenrad mit Hilfsmotor, das sich in dem zerstörten Land gut verkaufte und sogar von Oktober 1952 an auf die Philippinen verkauft werden konnte. 1953 lieferten seine Werke monatlich bereits 25.000 kleine Motorräder.

Der globale Blick

Honda unterschied sich von seinen japanischen Kollegen auch dadurch, dass er oft und gerne ins Ausland reiste. Es waren diese frühen Reisen, die eine weitere Facette der Persönlichkeit von Sōichirō Honda freilegten – hier wurde ihm, lange vor seinen japanischen Kollegen, klar, dass der Markt der Zukunft ein globaler Markt sein würde: „Think global, act local“, sollte eine seiner Devisen werden, die er von den 60er Jahren an mit der ihm eigenen Konsequenz weltweit in die Realität umsetzen sollte. Eine Devise, die übrigens direkt an sein Leitmotiv: „First man, then machine“ anknüpfte – denn wo konnte man die Sehnsüchte und Wünsche der Menschen besser eruieren und einlösen als direkt vor Ort?

Die erste große Weltreise löste aber noch eine zweite Erkenntnis aus: „Motorsport ist gut – gut für die Ingenieure und gut für das Image.“ So stieg das Unternehmen im März 1954 in das Renngeschäft ein. Das erste Rennen unter Honda-Beteiligung fand in Brasilien statt, und im Juni 1954 besuchte Soichiro Honda dann das legendäre Tourist Trophy-Rennen auf der Isle of Man, um anschließend noch einige europäische Autofabriken zu besichtigen. Wieder zu Hause angelangt, gab Honda den Befehl, Rennmaschinen zu entwickeln, mit denen die Firma bei der Motorrad-Weltmeisterschaft und natürlich auch bei der Tourist Trophy anzutreten hatte. Das erste Resultat war das offizielle Honda-Werksteam, mit dem man erstmals im November 1955 bei den Rennen zur japanischen Motorrad-Meisterschaft erschien. Damit war der Grundstein für eine der großen Motorsportgeschichten der Nachkriegszeit gelegt, die zu unzähligen WM- und Landes-Meisterschaften auf zwei und vier Rädern führen sollte.

Nur kurz zu den Motorrad-Rennen: 1959 tauchte Honda erstmals bei europäischen Rennen auf; der 6. Platz bei der Tourist Trophy auf der Isle of Man in der 125-cm³-Klasse machte auch die Europäer auf die Marke Honda aufmerksam. Im Juni desselben Jahres wurde auch die Honda Motor Co. in Amerika gegründet, die Vertriebsgesellschaft, die die kleinen Honda-Motorräder in den 60er Jahren in den USA so populär machte, dass die Beach Boys mit Little Honda in der Hitparade Rang 1 belegten. Im Jahr 1961 fanden zwei weitere wichtige Ereignisse statt: Der erste Sieg bei der legendären Tourist Trophy (der die Marke Honda bei den Motorrad-Begeisterten dieser Erde schlagartig ins Rampenlicht stellte) und der erste europäische Brückenkopf. Im Juni dieses Jahres wurde in Hamburg die European Honda Trading Co., Ltd. gegründet. Aus ihr sollte dann später Honda Deutschland mit dem heutigen Sitz in Offenbach werden.

Dass der begnadete Techniker kein Finanzgenie war, stellte sich auch bald heraus, doch Honda hatte mit Takeo Fujisawa das geschäftliche Genie an seiner Seite, das ihn bis zum gemeinsamen Ausscheiden 1973 aus der Firma zum wichtigsten Mann nach Honda werden ließ.

Durch intelligente Marketingstrategien und hervorragende technische Leistungen gelang es dem Konzern wenige Jahre später zum Motorradhersteller mit den weltweit höchsten Verkaufszahlen aufzusteigen. Und von 1963 an wurden auch Automobile wie der Honda T360 und Honda S500 entwickelt. Auch hier setzte er seinen Dickkopf durch – denn die japanische Regierung wollte keinen weiteren Automobil-Hersteller im Land haben und plante ein Gesetz zu verabschieden, dass in Japan nur drei Hersteller Autos bauen dürfen sollten – Honda baute daraufhin eiligst ein Modell, dass vor der Verabschiedung des Gesetzes fertig war und startete eine riesige Werbekampagne, die ihm derart viele Vorab-Bestellungen bescherte, dass die Regierung nicht mehr den Mut hatte, das Gesetz durchzusetzen. Später hat Honda diesen Kampf mit der japanischen Bürokratie als den wichtigsten seines Lebens bezeichnet.

Von nun an sorgten neben dem mittlerweile weltweit etablierten Motorrad-Geschäft auch die Honda-Automobile für Umsatz und Image. Nun entwickelte sich Honda zu einer der erfolgreichsten Auto- und Motorradfirmen der Erde. Honda etablierte sich als eine der ersten Marken über die Kontinente hinweg mit eigenen Produktionsstätten, um die Wünsche der vor Ort lebenden Kundschaft erfüllen zu können – es blieb dieser Marke auch vorbehalten, als erste in den USA produzierte Fahrzeuge und Motorräder wieder nach Japan zu exportieren. Und später sollten weltweit Modelle hinzukommen, die nur in bestimmten Erdteilen für bestimmte Erdteile konstruiert und gebaut wurden.

In den 60er Jahren kristallisierte sich langsam das Haus Honda in der uns heute bekannten Form heraus – mit dem S 800 Coupé etablierte man sich als Produzent technisch fortschrittlicher Fahrzeuge, parallel dazu war man auch in die Formel 1 gegangen, wo Richie Ginther am 24. Oktober 1965 den Großen Preis von Mexiko und John Surtees am 10. Oktober 1967 den Großen Preis von Italien in Monza gewinnen konnte.

Der Honda S 800 als Türöffner in Europa

Es sollte bis zum Oktober 1966 dauern, bis der Name Honda auch bei uns unter der Rubrik Autohersteller bekannt wurde. In diesem Monat wurde auf dem Pariser Autosalon der S 800 als Coupé und als Cabriolet vorgestellt. Der kleine Sportwagen eroberte sich auf Anhieb die Herzen der Autofans und die Fachzeitschriften nahmen seine faszinierende Technik wohlwollend unter die Lupe. Die nunmehr 791 cm³ große Variante des in Japan populären Sportwagens erreichte 67 PS, und diese genügten bereits, um auto, motor und sport die Feststellung zu entlocken, dass „die Japaner im Bau kleiner Hochleistungsmotoren einen deutlichen Vorsprung besitzen“. Und Gerd Hack schrieb weiter: „Von außen betrachtet verrät dieser Sportzweisitzer wenig über sein Herkunftsland. Im Styling ist er eigenwillig, aber nicht unkonventionell. Spätestens beim Öffnen der Motorhaube jedoch wird deutlich, dass man im Fernen Osten weiß, womit man Autofans begeistern und die Konkurrenz erschrecken kann. Der Honda zeigt, wie ein moderner kleiner Motor nach dem heutigen Stand der Technik aussehen kann: Ein wassergekühlter Reihenvierzylinder mit zwei obenliegenden Nockenwellen ist an und für sich noch nichts Außergewöhnliches. Das Besondere an diesem Motor ist aber nicht das Konstruktionsprinzip an sich, sondern die Ausführung und der ingeniöse Aufwand, der dabei getrieben wurde.“

Und weiter war zu lesen: „Um 67 DIN-PS zu mobilisieren, benötigt man gemeinhin einen Hubraum in der Gegend von 1,5 Liter. Der Honda schafft es mit knapp 800 cm³ und entwickelt dabei eine Literleistung von 85 PS/Liter, was nahezu einen Wert für Rennmotoren darstellt.“ Und sein Resümee: „Alles in allem: Man kommt um die Feststellung nicht herum, dass die Japaner im Bau kleiner Hochleistungsmotoren einen deutlichen Vorsprung besitzen.“ Der Honda S 800 kostete als Coupé oder Cabriolet denselben Preis: Für 7.750 Mark wurde man Besitzer dieses außergewöhnlichen kleinen Wagens.

Nun war Honda auch im Autogeschäft angekommen – und im Laufe der nächsten Jahre ging es auch in diesem Bereich aufwärts, bis Sōichirō Honda mit seinem luftgekühlten 1300 in Schwierigkeiten kam, denn es wurde klar, dass der Motor trotz allem technischen Aufwand nicht das neue US-Gesetz – eine Ergänzung des Umweltschutzgesetzes („Clean Air Act“) – würde erfüllen können, das neue, bislang unbekannt hohe Reduzierungen bei den Auspuffgasen von Fahrzeugen festlegte. Es dauerte seine Zeit, bis Honda seinen Frieden mit der Entwicklung von wassergekühlten Motoren gemacht hatte – doch dann präsentierte die Firma im Februar 1971 einer überraschten Öffentlichkeit das Honda CVCC-System. Das Compound Vortex Controlled Combustion-System war Bestandteil des ersten Triebwerks, das die Abgasgesetze, die 1975 in den USA Vorschrift wurden, ohne Katalysator voll erfüllen konnte. Der große Schritt war getan, Honda hatte die Weichen gestellt.

Anfang 1973 erklärte Fujisawa dann dem überraschten Verwaltungsrat, dass er von seinem Amt zurücktreten wolle. Er hatte diesen Entschluss alleine gefasst und niemandem von seinen Überlegungen berichtet. Sōichirō Honda reagierte sofort: „So, wie wir unser Werk gemeinsam begonnen hatten, mussten wir uns auch gemeinsam zurückziehen. Fujisawa, der nicht geglaubt hatte, dass ich ihn so hoch achtete, war von meiner Entscheidung tief gerührt.“ Offiziell wurde dieser Schritt dann im Oktober 1973 vollzogen, beide blieben aber als Gründer der Gesellschaft Direktoren und oberste Ratgeber ohne das Recht, im Namen der Gesellschaft zu handeln oder zu sprechen. Fujisawa war 62 Jahre alt, Sōichirō Honda 66.

Die große Zeit nach dem Rückzug der großen Macher

Nun begann die große Zeit der Company: Der Honda Civic verkaufte sich blendend, darauf folgte der Accord, der als Prelude den Coupé-Markt abdeckte. Mit jeder neuen Modellgeneration dieser Fahrzeuge wuchs der Marktanteil – ob der Einstieg von Honda 1979 bei British Leyland eine gute Idee war, darf hingegen bezweifelt werden. Andererseits erhielt Honda so die Chance, seine Fahrzeuge auch in England als Acclaim zu bauen. Und mit dem Honda Jazz verfügte das Unternehmen nun von 1983 an auch über einen attraktiven Kleinwagen für die City. In diesem Jahr kam auch mit dem CRX eine attraktive Coupé-Variante des Civic auf den Markt, über den die auto-revue aus Wien schrieb: „Der Civic CRX ist ein intelligentes Auto, weil er seine Tugenden nicht wie ein Musterschüler aufzeigt, sondern sie unserer legitimen Freude am Fahren unterordnet. Seine verwegene Erscheinung macht ihn lausbubenhaft. Mit 60 PS wäre er ein liebenswerter Angeber, mit 80 PS ein Hochstapler, aber mit 100 PS ist er anerkannt als anspruchsvoller Sportwagen.“

Nachdem Honda nun in der Mittelklasse festen Fuß gefasst hatte, war es klar, dass Honda nun die nächste Bastion angreifen würde: den Markt der Nobel-Limousinen. So entstand unter der Codebezeichnung XX im Honda R&D-Center Tochigi ein Sechszylinder-Modell, das zunächst als Honda Legend in Japan zum Verkauf angeboten wurde – in Europa dann im Herbst 1986 unter Rover-Regie produziert wurde.

Im Laufe der Jahre deckte Honda dann alle Modell-Kategorien erfolgreich ab: Geländewagen und SUV, entscheidend an dieser Entwicklung war Nobuhiko Kawamoto gewesen, der im Juni 1990 den Posten des Vorstandsvorsitzenden übernahm.  Der Ingenieur war eine der treibenden Kräfte hinter den grandiosen Siegen im Rennsport gewesen, und als jahrelanger Chef der Entwicklungsabteilung hatte er den Erfolgsweg des Hauses entscheidend mitbestimmt. Kawamoto trug mit seiner Entscheidung, die einzelnen Unternehmen rund um den Globus als eigenständige Firmen aus der direkten japanischen Abhängigkeit zu befreien, entscheidend dazu bei, dass sich Honda als die internationalste aller Firmen aus Nippon etablierte.

Der weltoffene Kawamoto war dann auch einer der Väter des NS-X – dessen Prototyp erstmals im Februar 1989 zu sehen war. Zwar verging dann zwar noch mehr als ein Jahr, bis der voll aus Aluminium gefertigte Mittelmotor-Sportwagen im Sommer 1990 in Serie ging – doch die Zwischenzeit verbrachten viele Interessenten mit der intensiven Lektüre der spärlichen Informationen über den Wagen mit dem 274 PS (201 kW) starken 3-Liter-V6-Motor, dem viele Fachjournalisten die Chance gaben, sich als erster Japaner auch mit Ferrari messen zu können.

Ein Anspruch, den die Motor-Revue 1991 nach einer Vergleichsfahrt mit einem Ferrari 348 so beschrieb: „Man muss den NSX gefahren sein, um zu beurteilen, wer hier wem etwas vormacht. Der Honda ist die Überraschung des Tages. Er ist fahrsicherer, komfortabler und nervenschonender als der Ferrari. Auf die Dauer ist er auch schneller. Wer jetzt gähnend abwinkt, verpasst das Beste. NSX-Fahren macht Spaß, unverschämt viel Spaß. Er beherrscht das ganze klassische Sportwagen-Repertoire, vom lustvoll hochdrehenden Motor bis zum unverblümt kommunizierenden Fahrwerk – sogar der einschlägige Sound kommt nicht zu kurz.“

Im November 1992 stellte Honda dann nur für den japanischen Markt den NSX-R vor, dessen R für Racing stand, und der bei einem um 130 Kilogramm auf 1230 Kilogramm reduzierten Gewicht und 280 PS die 280 km/h-Grenze streifen konnte. Wer gerne mit einem offenen Dach fahren wollte, griff dann noch von 1996 an zum NSX-T mit einem herausnehmbaren Dachteil. Dann folgte noch eine letzte Evolutionsstufe: Der im Januar 1997 in Detroit präsentierte neue 3,2-Liter-V6-Motor mit 24 Ventilen und mit 256 PS (188 kW).

Honda hatte es geschafft: Man bewegte sich auf einer Ebene mit den prestigeträchtigen Marken der Erde – Ferdinand Piëch betrachtete sich den Aufstieg der Japaner genau und konstatierte, dass den Japanern – und allen voran Honda – die Zukunft gehören würde. Kein Wunder, dass man sich weltweit die Produktionsmethoden der Japaner ansah und den einen oder anderen Spezialisten abwarb, so wie es auch Wendelin Wiedeking Anfang der 90er Jahre bei Porsche tat und damit den Wiederaufstieg des Sportwagenherstellers einleitete.

Perfekt für das Image der Marke waren auch die mittlerweile sechs Formel 1 Fahrer- und Konstrukteurs-WM-Titel, davon drei mit dem unvergessenen Ayrton Senna, einer mit Nelson Piquet, Alain Prost und in der vergangenen Saison mit Max Verstappen.

Einst ganz weit vorne, und nun?

Ansonsten scheint jedoch der große Drive – der Anspruch, es der Welt zu zeigen – etwas verflossen zu sein. Noch immer baut die Marke interessante Fahrzeuge, aber der Anspruch „Think global, act local“ hat das Unternehmen und die Produkte zersplittern lassen. Die Acura-Modelle wurden nie nach Europa geliefert und es dauerte nicht weniger als elf Jahre, bis man sich dazu durchringen konnte, den legendären NSX – der so viel für das Image des Hauses getan hatte – im Juli 2016 neu interpretiert mit Hybrid-Technik (3,5-Liter-V6-Motor mit Bi-Turboaufladung und drei Elektromotoren) und 581 PS (427 kW) Leistung auf den Markt zu bringen. Doch der anfänglich 180.000 Euro teure und 305 km/h schnelle Zweisitzer brachte es nie auf interessante Stückzahlen. Da halfen auch die 20 zusätzlichen PS nicht mehr, die der auf 350 Exemplare limitierte NSX Type S im August 2021 erhielt – Ende 2022 wird die Produktion bereits wieder eingestellt.

Heute fehlt etwas die durchgängige Linie – man bedient zwar alle Geschmacksrichtungen, aber der Honda-Spirit hat sich verflüchtigt. Technische Innovationen müssen gesucht werden. Es fehlen eben – wie eingangs konstatiert – die Alpha-Männer, die früher auch gegen den Willen der risikoarmen breiten Masse den Kurs bestimmten. Männer, wie eben auch Sōichirō Honda.


Fotos Honda Motor Europe Ltd.

Autor: Jürgen Lewandowski

Jürgen Lewandowski schreibt seit mehr als 40 Jahren über Menschen und Autos - und hat mehr als 100 Bücher veröffentlicht. Traumklassiker: Alfa Romeo 8C 2900 Touring Spider und Lancia Rally 037. Eigener Klassiker: Alfa Romeo R.Z. von 1993.

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