Kolumne Zeitsprünge | Renault 11 – Originell und gewöhnungsbedürftig

1984 - Renault 11 Turbo

Ein verwirrendes Stück Technik: Immer mehr Hersteller bieten ein sprechendes Armaturenbrett an, so auch beim Renault 11.

Der französische Staatskonzern Renault hat eine – zumindest teilweise – verwirrende Modellpolitik: Da werden einerseits Allerwelt-Autos vom Schlage eines R4, R5 oder R9 angeboten. Andererseits scheut man sich nicht, den R30 – eine unsagbar brave Kombi-Heckklappen-Limousine gegen die feinen Limousinen der Oberklasse antreten zu lassen. Oder man reduziert einen reinrassigen Rennwagen auf eine leicht gemilderte Straßenversion – und bietet sie dann als R5 Turbo an.

Beim neuen Renault 11 – der Wagen steht ab dem 1. Juni bei den Händlern – hat man sich offenbar zu einem Kompromiss durchgerungen: Denn einerseits hat der R9 schon lange eine Schrägheck-Variante nötig gehabt (der betagte R14 ließ sich kaum noch verkaufen) – und andererseits hat man an diesem eher schlichten Automobil zeigen können, wozu die Elektronik-Spezialisten des Hauses fähig sind.

Also gibt es nun einen Renault 11 TSE Elektronik, der – vollgestopft mit allem, was die Technik zu bieten hat – Renaults Schritt in die Zukunft demonstrieren soll. Der wäre das mit Flüssigkristallanzeigen bestückte Armaturenbrett, das einem die Geschwindigkeit wahlweise mit Digitalziffern oder mit einem Flüssigkristallband anzeigt – und dieses Band kann dann noch auf Knopfdruck hin den Geschwindigkeitsbereich von Null auf 90 km/h auf Null bis 180 km/h spreizen (falls man sich aus der Stadt aufs Land begeben möchte). Ein weiterer Knopfdruck lässt dann die Geschwindigkeitsanzeige verschwinden und ein Flüssigkristallband erscheinen, dass die Drehzahl anzeigt – und das nervös flackert, wenn der Fahrer dem Motor zu viel zumutet. Ein kleines weiteres Display zur linken erfreut den Fahrer durch teilweises Anzeigen der Wassertemperatur, des Öldrucks oder des Motorölstandes. Und zur rechten bietet eine symbolische Tanksäule die Erkenntnis, wie viel Kraftstoff noch im Vorratsbehälter ist.

1984 - Renault 11 Turbo (1)

Renault 11 – „Dynamisch, aktiv, voller Lebensfreude?“

Ein verwirrendes Stück Technik also, mit dem die Renault-Marketingsspezialisten eine Kategorie von Käufern ansprechen, die „dynamisch, aktiv, voller Lebensfreude ist, der Entspannung über alles geht, die in und mit ihrer Zeit lebt. Sie ist in gewisser Weise neugierig, originell, ohne jedoch hohe Ansprüche zu stellen oder aggressiv zu sein.“ (Originalton Pressemappe Renault 11).

Was erwartet denn die “unaggressiven“ R11-Fahrer sonst noch alles? Zuerst einmal ein gutes Platzangebot in der wahlweise mit zwei oder vier Türen angebotenen Limousine – die große Heckklappe ist serienmäßig. Dann eine hervorragende Rundumsicht und eine Motorenpalette von 48 bis 72 PS. So gerüstet bieten die sechs Modellvarianten, die bei uns angeboten werden, Fahrleistungen zwischen 138 und 162 km/h Höchstgeschwindigkeit, und die Beschleunigung zur 100-km/h-Grenze und in einer Zeit zwischen 21,4 und 13,0 Sekunden zurückgelegt. Erfreulich ist dabei das Fahrwerk, das einen gesunden Kompromiss zwischen Komfort und Härte bietet.

Und auch die Verbrauchswerte zeigen, dass man bei Renault auch an die hohen französischen Benzinpreise gedacht hat: 5,4 Liter Superbenzin bei konstant Tempo 90 – 7,4 Liter bei Tempo 120 und 7,1 Liter im Stadtzyklus für den Renault 11 TC, die Basisversion mit dem 1,1-Liter-Vierzylinder und 48 PS (35 kW). 5,1 Liter/6,9 Liter/7,4 Liter Normalbenzin für die 60 PS (44 kW) starke 1,4-Liter-Version des R11 GTL und 5,2 Liter/7,1 Liter und 8,8 Liter Superbenzin für die stärkste Ausführung, den R11 TSE mit 1,4 Liter Hubraum und 72 PS (53 kW) – alle Werte sind DIN-Werte und Werksangaben.

Es geht auch anders beim Renault 11

Faire Werte also, die den R11 bei uns durchaus heimisch werden lassen könnten, zumal auch die Preise „nur unwesentlich“– so Renault Vorstandsmitglied Georg-Heinz Hommen – über denen des R9 liegen werden. Außerdem kann man dem TC, GT, GTL und TSE noch anrechnen, dass sie mit einem übersichtlichen und gut lesbaren Armaturenbrett herkömmlicher Bauart – mit Rundinstrumenten und normalen Blinkleuchten – ausgerüstet sind. Mit einem Armaturenbrett also, dass dem Charakter dieser Modellreihe besser entspricht als die hochgestochene Elektronik des R11 TSE.

Zumal dem Flüssigkeitkristall-Display auch noch ein Sprachgenerator beigegeben wurde, der – ohne dass man ihn abstellen kann – den Fahrer synthetisch, nüchtern und kalt darüber belehrt, was er alles falsch gemacht hat: „Die Tür steht offen, die Handbremse ist zu lösen, den Ölstand überprüfen.“ Man darf gespannt sein, wann einem die klugen Computer das Autofahren verbieten werden, weil man als Käufer und Fahrer nicht mehr ihren Erwartungen entspricht: „Bitte bleiben sie stehen, ihre Fahrweise erzeugt einen zu hohen Öldruck in mir und ein Pleuel könnte die Mitarbeit verweigern.“

1986 Renault 11 (4)


Dieser Text ist erstmals in der Süddeutschen Zeitung Nr. 104 vom 6. Mai 1983 erschienen.


Fotos Renault Communications

Autor: Jürgen Lewandowski

Jürgen Lewandowski schreibt seit mehr als 40 Jahren über Menschen und Autos - und hat mehr als 100 Bücher veröffentlicht. Traumklassiker: Alfa Romeo 8C 2900 Touring Spider und Lancia Rally 037. Eigener Klassiker: Alfa Romeo R.Z. von 1993.

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