Kolumne Zeitsprünge | Bugatti Veyron 16.4 – Die Kraft und die Herrlichkeit

2008 Bugatti Veyron 16 (7)

Der Bugatti Veyron 16.4 verfügt über 1001 PS, mit denen es sich erstaunlich entspannt fahren lässt.

Eher schlicht steht er da – der Bugatti Veyron 16.4 ist kein auf Räder gestellter Kampfbomber wie der Enzo, kein kraftstrotzender Macho wie der Murciélago und kein sehniger Langstreckenläufer wie der Carrera GT. Der Veyron ist eine elegante Skulptur mit frankophilem Chic und fließenden Linien, der man ihre unglaublichen 1001 PS – oder 736 kW – Leistung nicht ansieht. Eine Kraft, die – wenn man einmal von einer Handvoll Rennwagen absieht – noch nie ein Straßenauto auf den Asphalt gebracht hat.

So steht man dem Veyron – der seinen Namen dem französischen Bugatti-Rennfahrer Pierre Veyron (1903 – 1970) verdankt – zunächst einmal eher distanziert gegenüber: Null auf 100 km/h in 2,5 Sekunden – Null auf 200 km/h in 7,3 Sekunden – Null auf 300 km/h in 16,7 Sekunden müssen erst einmal mental verarbeitet sein. Und der Kaufpreis von einer Million Euro (plus die länderspezifischen Steuern) will auch in Betracht gezogen sein – von den astronomischen Unterhaltskosten ganz zu schweigen…

Ferdinand Piëch als Antreiber hinter dem Bugatti Veyron 16.4

Doch der Veyron ist der zur realen Existenz gewordene Wille von Ferdinand Piëch, dem Mann, der nicht nur für die Porsche-Rennwagen sorgte, die die Konkurrenz in Grund und Boden fuhren, um anschließend mit Audi in die Phalanx von Mercedes-Benz und BMW einzubrechen – er wollte auch den ultimativen Sportwagen. Das Auto, das nie mehr zu toppen sein wird – denn nie wieder wird ein Firmenchef die Macht in sich vereinen, das Geld für einen Sechzehnzylinder-Mittelmotorsportwagen mit vier Turboladern und Allradantrieb inklusive Karbonfaser-Chassis per Dekret zur Verfügung zu stellen. Nie wieder wird ein Unternehmen einen der edelsten Namen der Welt – Bugatti – kaufen und über knapp zehn Jahre ein Auto entwickeln, von dem gerade einmal 300 Stück entstehen sollen. Und nie wieder wird ein Haus wie VW seine gesamten Forschungsressourcen in eine derartige Extrementwicklung einbringen – und dabei sogar die gesamten Winter- und Sommer-Erprobungsfahrten, die jeder Golf und jeder A4 bestehen muss, in diese Entwicklung aufnehmen.

„Der Veyron hat jeden Dauerlauf mitgemacht, er hat das Death Valley überlebt und sich durch die Schneeberge von Lappland gearbeitet – er ist voll alltagstauglich und fährt sich, wenn man es wünscht, wie ein Lämmlein“, Dr. Thomas Bscher, der Vorstandsvorsitzende von Bugatti weiß, wovon er spricht: Er ist seit Jahren erfolgreicher Manager und Rennfahrer und hat McLaren damals überredet, aus dem legendären F1 auch eine Rennversion zu entwickeln – die dann auch prompt Le Mans gewann.

Gutmütig im Alltag, aber Geschwindigkeit auf einem neuen Level wenn gewünscht

Für ihn ist der Bugatti Veyron der perfekte Sportwagen: kompakt (der Veyron ist nur 4,46 Meter lang und knapp 2 Meter breit), berstend vor Kraft (1250 Nm Drehmoment zwischen 2200 und 5500/min) und dank Allradantrieb und 7-Gang-DSG-Getriebe stets problemlos zu fahren. Und da der Veyron ebenso über eine Klimaanlage wie über Leder im Überfluss sowie eine maßgeschneiderte Burmester-Stereoanlage verfügt – was sich in einem Leergewicht von 1.888 Kilogramm niederschlägt –, macht auch das langsame Fahren Freude.

Noch mehr Freude macht jedoch das Schnellfahren – wobei der Begriff hier eine Dimension erreicht, die auch die Besitzer extrem schneller Fahrzeuge in Sinnkrisen stürzen, denn der Veyron verlagert den Begriff Geschwindigkeit in eine bislang unbekannte Ebene, die bis dato nur Formel 1-Piloten geläufig sein dürfte: Welcher Normalsterbliche war mit seinem Wagen jemals bereits nach zehn Sekunden etwa 240 km/h schnell unterwegs?

Doch vor der Freude, sich in diesen Männertraum einfädeln zu dürfen, sollte man noch zur Kenntnis nehmen, dass der Veyron über zwei Zündschlüssel verfügt, von dem der eine für den Bereich bis 370 km/h zuständig ist, während der Zweite – links neben den Sitz in ein zweites Zündschloss eingeführt – die finalen 30 km/h freigibt.

Das Interieur ist übersichtlich und klar gestylt, der kleine Schalthebel liegt perfekt zur Hand und der Sound, den 16 Zylinder mit 8 Liter Hubraum erzeugen können, ist die eigentliche Überraschung: Ein tiefes, sonores Brabbeln, das meilenweit von jedem aufgeregtem Keifen eines Italieners entfernt ist und nur eines signalisiert – wir werden viel Spaß miteinander haben.

Das Anfahren ist unspektakulär wie bei jedem Golf, bei so viel Leistung braucht man keine durchdrehenden Räder – doch dann genügt ein tapferer Tritt aufs Gaspedal und der Bugatti Veyron beschleunigt wie ein Kampfjet. Man beginnt zu ahnen, wie sich die Piloten auf Flugzeugträgern fühlen müssen – und man dankt dem Knowhow des Weltunternehmens VW, das für adäquate Keramik-Bremsen an der Vorder- und Karbonscheiben an der Hinterachse gesorgt hat. Und bei Vollbremsungen aus hohen Geschwindigkeiten sorgt ein großer Heckspoiler für zusätzliche rabiate Verzögerung.

Das wirklich Überraschende ist jedoch die souveräne Alltagstauglichkeit, mit der man ebenso über enge Landstraßen wie auch über Autobahnen cruisen kann – „wie ein Lämmlein“ sagte Thomas Bscher, und er hat Recht: Der schnellste Sportwagen aller Zeiten gebärdet sich nicht wie eine Diva, sondern gibt sich als Kumpel, mit dem man die tollsten Abenteuer dieser Erde erleben möchte. Und beim Abschied flüsterte er einem leise zu: „Die 400 km/h haben wir nicht geschafft – die Geraden waren einfach zu kurz. Aber wir werden es nachholen“.


Dieser Text ist erstmals in der NZZ am Sonntag im Sommer 2005 erschienen.


Fotos Bugatti Automobiles S.A.S.

Autor: Jürgen Lewandowski

Jürgen Lewandowski schreibt seit mehr als 40 Jahren über Menschen und Autos - und hat mehr als 100 Bücher veröffentlicht. Traumklassiker: Alfa Romeo 8C 2900 Touring Spider und Lancia Rally 037. Eigener Klassiker: Alfa Romeo R.Z. von 1993.

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