Massimo Tamburini – Motorräder aus einem Guss

Massimo Tamburini MV Agusta F4 2004 (5)

Designer und Konstrukteure – man könnte meinen, es handele sich um entgegengesetzt arbeitende Strömungen. Bestenfalls entwickeln sie aber in dieselbe Richtung. In Ausnahmefällen sind sie auch in einer Person vereint und bringen große Werke auf die Straße‑ so wie bei Massimo Tamburini.

Zugegeben waren einige Zufälle dabei, dass das Oeuvre von Massimo Tamburini diese Wendung nahm. Aber der Reihe nach: Am 28. November 1943 wurde Tamburini als Sohn einer vielköpfigen Bauernfamilie geboren. Bereits im Kindesalter gab die Familie die Landwirtschaft auf und der Vater begann als Transportunternehmer in Rimini.

Als Kind entwickelte Tamburini ein Interesse an Technik und Motorrädern. Zunächst begleiteten ihn die Zweiräder aber nur als privates Hobby. Mit Giuseppe Morri und Valerio Bianchi gründete er 1966 die Sanitärfirma Bimota, deren Name sich aus den Anfangsbuchstaben der Nachnamen zusammensetzte.

Ein Sturz als Startschuss

1973 trat erstmals der Zufall in Erscheinung, der Tamburini bewegte, sich auch beruflich mit Motorrädern zu beschäftigen. Auf der Rennstrecke von Misano stürzte er mit seiner neuen Honda CB 750 Four und gab dieses Ereignis selbst in einem späteren Interview als Auslöser für seine berufliche Neuorientierung an: „Wenn ich in der Quercia-Kurve nicht weggerutscht wäre, hätte ich mich wohl niemals beruflich mit Motorrädern beschäftigt“. Das Fahrwerk der Honda machte er als Unfallursache fest und dachte sich wohl: „das kann ich besser“.

Also ergänzte er sein Unternehmen um den Zweig „Bimota Meccanica“ und widmete sich fortan auch um die Entwicklung neuer Konstruktionen.

Aber auch wenn ihn vor allem die Technik reizte, musste er auch hinsichtlich des Designs Ideen entwickeln und umsetzen, schlicht wegen des pragmatischen Grundes „dass sich Bimota keinen Designer leisten konnte“.

Massimo Tamburini Bimota

Das erste Projekt – wie sollte es anders sein – war auf Basis einer Honda CB 750 Four, aber natürlich mit verbessertem Fahrwerk. Von der HB-1 genannten Maschine wurden 1975 und 1976 nur zehn Stück gebaut, sie reichten aber, um dem Namen Bimota gerade in Italien bekannt zu machen.

Das war der Startschuss für ein in der Folge weiterhin praktiziertes Muster: Bimota verwendete als Basis stets Top-Modelle von renommierten Herstellern wie Honda, Kawasaki, Suzuki und Yamaha. Aber für Bimota und deren Macher waren selbst die Top-Modelle nicht perfekt, gerade im Hinblick auf Fahrwerk und Fahrverhalten. Also wurden die Maschinen auseinandergenommen und mit eigenem Rahmen, Verkleidung und Zubehörteilen versehen.

Bei der Modellbezeichnung orientierte man sich an einem nachvollziehbaren Schema: Der erste Buchstabe steht für den Hersteller des Motors wie Honda oder Kawasaki, der zweite Buchstabe steht für Bimota, und die Zahl ist eine fortlaufende Nummer für die Modellreihe.

Massimo Tamburini Jon Ekerold Giuseppe Morri
Jon Ekerold (Südafrika, Mitte) wurde 1980 als Privatfahrer Weltmeister mit einer Bimota-Yahama von Massimo Tamburini (li.) und Giuseppe Morri.

Über den Rennsport findet Massimo Tamburini zu den großen italienischen Namen

1983 verließ Massimo Tamburini Bimota und ging in den Rennsport. Das Rampenlicht, in dem er für das Rennteam Gallina stand, machte den aufstrebenden italienische Motorrad-Unternehmer Claudio Castiglioni auf ihn aufmerksam. Für dessen Marke Cagiva sollte er eine dynamisch-sportliche 125er Maschine entwickeln.

Gesagt, getan, die Ende 1984 präsentierte Cagiva Aletto Oro wurde zum großen Erfolg, vor allem im Italien. Die Zusammenarbeit mit Castiglioni entwickelte sich zum Glückfall für Tamburini. Der Unternehmer leitete nicht nur Cagiva, sondern übernahm in der Folge auch noch Moto Morini, Husqvarna, Ducati und später MV Agusta.

Um seinem kongenialen Konstrukteur so viel Raum zur Entfaltung wie möglich zu geben – und ihm ganz nebenbei zu ermöglichen, seine geliebte Heimatstadt Rimini nicht wirklich verlassen zu müssen – wurde Massimo Tamburi zum Chef des Centro Ricerche Cagiva in San Marino ernannt.

Dort konnte er sich recht frei austoben und spätestens mit der Übernahme von Ducati konnte er auch die großen Maschinen nach seinen Vorstellungen auf die Straße bringen.

Die Ducati Paso war sein erster großer Wurf. Die meisten werden vermutlich sagen, dass es durch die Designbrille betrachtet kein Meisterwerk war, aber technisch ein kompromissloses und radikales Motorrad.

Massimo Tamburini Ducati 916 (2)

Motorräder, die Maßstäbe setzten

Die Prunkstücke für Ducati, die seinen Ruhm nachhaltig zementierten, waren allerdings die Superbikes 851, 888 und noch etwas mehr im Scheinwerferlicht die Modelle 916 und 996.

Als die 916 im Jahr 1994 auf den Markt kam, stellte sie selbst ihre direkten Vorgänger in den Schatten. Eine schlanke Linie, die schmalen Doppelscheinwerfer und der Underseat- Auspuff sorgten für einen großen Auftritt. Unter dem schönen Kleid sorgte ein moderner V2 mit elektronischer Einspritzung und typischer Desmodromik für ordentlich Vortrieb mit 83 kW/112 PS.

Als Castiglioni Ducati verkaufte, folgte ihm Tamburini zu MV Agusta. Dort machte er weiter, wo er zuvor aufgehört hatte. Er konstruierte weiterhin sportliche und technisch herausragende Maschinen.

Wie zu erwarten, gelang es Tamburini, mit der F4 und später der Brutale unvergleichliche, technisch innovative Motorräder mit eleganter Hülle auf die Straße zu bringen.

Mit dem Verkauf von MV Agusta an Harley-Davidson im Jahr 2008 zog sich Massimo Tamburini auf dem Berufsleben zurück. 2014 starb Tamburini im Alter von 70 Jahren, sein Wirken auf die Motorrad-Entwicklung und das Design lebt bis heute weiter.

Er etablierte den Gitterrohrrahmen aus Stahl auf so einem hohen Niveau, dass diese Bauweise nicht nur mit den Alu-Konstruktionen mithalten können, sondern unter anderem bei Ducati und MV Agusta bis heute so gebaut wird.

Im Hinblick auf das Design hat er, der am liebsten ganz auf Scheinwerfer verzichtet hätte, mit der Integration der Blinker in den Rückspiegel und der Scheinwerfer in die Karosserie Trends gesetzt, die bis heute Nachahmer finden. Ebenso ist seine Umsetzung der Idee, den Auspuff unter der Sitzbank entlangzuführen, ein Stilmittel für die Ewigkeit.

Fotos Bimota S.p.A., MV Agusta Motor S.p.A.

Autor: Paolo Ollig

Paolo Ollig schreibt als Chefredakteur regelmäßig über alle Raritäten und Meilensteine der Automobil- und Motorrad-Geschichte. Traum-Klassiker: Lamborghini Countach und Mercedes-Benz 300 SL. Eigener Klassiker: Mercedes-Benz 230 CE (W123) von 1981.

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