Kolumne Zeitsprünge | Bentley Continental GT – Die Kontinente bezwingen

2021 Bentley Continental GT (24)

Bentley Continental GT: Seit 20 Jahren setzen diese Modelle auf der Basis einer großen Vergangenheit Maßstäbe für Qualität, Souveränität und Luxus.

Es gibt nicht viele Autofirmen, die auf mehr als 100 Jahre Geschichte zurückblicken können – und dass Bentley überhaupt überlebt hat, ist mehreren Zufällen und ein paar engagierten Männern zu verdanken, die die am 18. Januar 1919 im Londoner Stadtteil Cricklewood von Walter Owen Bentley gegründete Firma nicht untergehen lassen wollten.

Die sagenhafte Reputation ist zweifellos auf die sportlichen Erfolge der Marke in den 20er Jahren zurückzuführen, dem ersten Le Mans-Sieg 1924 folgten von 1927 bis 1930 vier weitere Siege in Reihe – in Frankreich wurde der Mythos geboren, der durch etliche weitere Siege in Brooklands und durch mehrere Geschwindigkeitsrekorde verstärkt wurde. Dennoch erziele Bentley nie Gewinne und es war einer Gruppe junger Männer („The Bentley Boys“) unter der Führung von Woolf Barnato, dem Erben eines Diamanten- und Goldminenimperiums in Südafrika, die Bentley und ihre Renneinsätze finanzierten. Barnato übernahm im Februar 1925 auch die Aktienmehrheit von Bentley und rettete das Unternehmen so vor dem ersten Bankrott.

1931 war Bentley dann endgültig zahlungsunfähig, nachdem Woolf Barnato es abgelehnt hatte, für eine fällige Hypothekenrate zu bürgen – Bentley wurde versteigert und die bis dato unbekannte Firma British Central Equitable Trust Limited gab das höchste Gebot über £ 125.256 ab. Nach knapp zehn Jahren und 3.051 gebauten Chassis war Bentley Vergangenheit.

Neustart unter dem Dach des einstigen Rivalen

Zur großen Überraschung aller Beteiligten, verbarg sich hinter der Adresse British Central Equitable Trust Limited die Firma Rolls-Royce, die so den Konkurrenten Bentley elegant vereinnahmt hatte – und die Marke als sportliches Pendant neben den majestätischen Rolls-Royce-Modellen in ihr Programm nahm.

Es sollte bis 1951 dauern, als Rolls-Royce mit dem R-Type Continental das damals schnellste Coupé der Welt lancierte – und Bentley zu einem strahlenden Comeback verhalf. Von 1952 bis 1955 entstanden 207 Exemplare, der Großteil davon mit einem wunderschönen Fließheck, das bei H. J. Mulliner & Co. gebaut wurde, damals eines der teuersten Fahrzeuge der Welt. Bis heute haben die Fahrzeuge nichts von ihrer Eleganz und Präsenz verloren – Klassiker vom ersten Tag an.

Danach sollten bis 1965 auf der Basis der Bentley S1, S2 und S3 Modelle auch weitere Continental-Modelle entstehen, die als Coupés, Drophead Coupés und Limousinen in homöopathischen Dosen an die Reichen der Welt verteilt wurden – auch dies heute gesuchte und entsprechend teure Vertreter einer großen Zeit.

Dann versank die Marke Bentley einmal mehr in der Bedeutungslosigkeit – die nächsten Modellreihen wurden in identischer Form als Rolls-Royce und als Bentley angeboten. Fahrzeuge, die sich nur durch den unterschiedlichen Kühlergrill voneinander unterschieden, am Ende trugen 92 Prozent der ausgelieferten Modelle den Rolls-Royce Kühlergrill, Bentley schien wieder einmal am Ende.

Das begann sich 1982 zu ändern, als die Mulsanne-Limousine mit einem 300 PS starken Turbo-Motor in das Segment der sportlichen Limousinen – Null auf 100 km/h in 7 Sekunden! – entlassen wurde. Das Modell sorgte für ein sportliches Renommée der Marke – und als 1991 auf der Basis der Limousine das Continental R-Coupé in Genf Premiere feierte, hatte Bentley ein sehr luxuriöses und elegantes Modell im Programm, zu dem kein Rolls-Royce-Pendant lieferbar war. Die Marke begann sich langsam von Rolls-Royce zu emanzipieren.

1998 wurde Bentley dann von Volkswagen unter der Leitung von Ferdinand Piëch für 1,44 Milliarden Mark erworben – Rolls-Royce ging dafür an BMW. Während man sich zunächst mit der Weiterentwicklung und technischen Überarbeitung der bestehenden Modellreihe beschäftigte, wurde in Wolfsburg die Zukunft der Marke neu überdacht und positioniert.

Der Bentley Continental GT als erstes Modell unter VW-Leitung

Das Ergebnis der Überlegungen stand im März 2003 auf dem Genfer Autosalon: Der neue Bentley Continental GT. Das elegante Coupé verfügte über den W12-Zylinder-Motor des VW Phaeton, der hier jedoch mit Turbolader 560 PS bereit stellte. Auch der Allradantrieb, die Luftfederung, das Automatikgetriebe und die Fahrzeugelektrik/Elektronik stammten vom Konzernbruder VW Phaeton und Audi A8. Mit den 560 PS erreichte der Continental GT mehr als 300 km/h. Die Kunden standen Schlange.

Der Continental GT war anfänglich ab 167.504 Euro erhältlich. Die Ausstattung war dem Preis angemessen: Serienmäßig gab es unter anderem eine Volllederausstattung, Schaltwippen am Lenkrad, Infotainmentsystem mit Navigationssystem, DVD-Spieler und 12-Kanal-Hi-Fi-System, Sechsfach-CD-Wechsler, Multi-Zonen-Klimaautomatik und elektrisch einstellbare Vordersitze mit „Memory“-Funktion.

Im Laufe der Jahre kamen noch ein Cabriolet „GTC“ und eine viertürige Limousine „Flying Spur“ dazu und diverse GT Speed- und Supersport-Varianten sorgten für stetig steigende PS-Zahlen, die am Schluss bei 630 PS lagen.

Bis zur Präsentation der zweiten Generation sollten rund 23.400 Continental GT-Coupés gebaut werden – ein enormer wirtschaftlicher Erfolg, der die Marke Bentley bei aller Exklusivität weltweit wieder in den Fokus der Käufer brachte, die sich etwas Außergewöhnliches leisten wollten und konnten. Und wem der Bentley Continental GT nicht exklusiv genug war, konnte natürlich weiter zu der Arnage-Limousine greifen, während die Produktion des Continental R-Coupés und des Azure Drophead Coupé 2002 bzw. 2003 eingestellt wurde.

Die zweite Continental-Generation erblickte im Herbst 2010 auf dem Autosalon in Paris das Licht der Welt – die Auslieferung begann im Frühjahr 2011. Äußerlich nur leicht überarbeitet bot der W12-Motor nun 575 PS, dazu gesellte sich im April 2012 ein kleinerer V8-Motor mit Doppelturboaufladung und 507 PS Leistung, der 2014 mit dem V8 S ein 528 PS starkes Pendant erhielt. Später gab es dann noch den GT Speed mit 635 PS und als Abschluss den Continental Supersport, der mit 710 PS 336 km/h erreichte.

Natürlich gab es auch eine offene und eine viertürige Variante – und mit rund 21.600 gebauten Coupés erfüllte auch die zweite Generation die Wünsche der VW-Oberen unter der Leitung von Ferdinand Piëch. Und wer es noch exklusiver haben wollte, griff von 2009 bis 2020 zu der großen Mulsanne-Limousine, in der noch immer der bewährte 6,75 Liter Achtzylinder mit Turbolader und 513 PS arbeitete – noch beeindruckender war lediglich das maximale Drehmoment von 1020 Nm, das bereits bei 2000/min zur Verfügung stand.

Nähern wir uns langsam der heutigen Continental-Generation, die im September 2017 auf der IAA in Frankfurt Premiere feierte. Unter der Leitung des damaligen Design-Chefs Stefan Sielaff erhielt die typische Continental-Linie eine deutliche Straffung, was auch – bei einer vier Zentimeter längeren und um zwei Zentimeter in der Breite gewachsenen Karosserie auf den dabei um elf Zentimeter gewachsenen Radstand zurückzuführen ist, der die Überhänge deutlich verkürzte.

Zusammen mit dem Porsche Panamera verfügt der Continental nun über dieselbe Plattform, während der W12-Motor bereits in der Basisversion mit 635 PS antrat. Ende 2019 folgte ein V8-Triebwerk mit 550 PS – das Cabriolet mit der Bezeichnung Continental GTC folgte 2018 auf der Los Angeles Motorshow, während die viertürige Flying Spur-Limousine am 11. Juni 2019 die Bühne betrat.

Stetiger Wandel in Crewe

Ein Besuch im Werk in Crewe im November zeigte einmal mehr, welche radikalen Veränderungen die Marke seit meiner ersten Visite im Sommer 1982 vollzogen hat – außer dem mittlerweile perfekt restaurierten Direktionsgebäude ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Die damals etwas in die Jahre gekommenen Hallen sind auf dem neuesten Stand, und die Reihe der entstehenden Fahrzeuge ist beeindruckend: Es dürften in diesem Jahr wohl etwa 40.000 Autos werden, die Bentley an seine Kunden weltweit ausliefert. Rund 40 Prozent davon gehören zum Stamm der SUV`s mit dem Namen Bentayga, der Flying Spur ist mit 25 Prozent am Modellmix beteiligt – der Rest sind Continental Coupés und Cabriolets, wobei sich hier das Verhältnis bei 60 zu 40 Prozent einpegelt.

Der europäische Bestseller ist jedoch der Continental GT, der für ein Wochenende in der Garage stand – leider war das Wetter miserabel, was die erreichbare Höchstgeschwindigkeit auf etwa 220 statt der theoretisch (mit Sommerreifen) erreichbaren 333 km/h limitierte. Andererseits waren der Regen und der zuweilen auftretende leichte Schneeschauer die perfekte Basis, um die unglaubliche Souveränität des Zwölfzylinders, gepaart mit dem Allradantrieb zu erfahren. Nun liegt ein Gefährt mit 635 PS und rund 2,3 Tonnen Gewicht zwangsläufig satt auf der Straße – und jedes leichte Antippen des Gaspedals sorgt für eine Beschleunigung, die sonst nur von kargen und hart gefederten Super-Sportwagen bereitgestellt werden. Laut Hersteller durcheilt der Continental GT die 100 km/h-Grenze nach 3,7 Sekunden, was bereits bei schönem Wetter und trockener Fahrbahn sehr beeindruckend ist – noch beeindruckender ist jedoch der Flow, mit dem man den GT über längere Distanzen reist, selbst bei schlechtem Wetter und entsprechender Rücksicht auf die Straßenverhältnisse und den Rest des Verkehrs.

Eine Souveränität, die natürlich durch den nahezu unhörbaren Zwölfzylinder und den in Luxus schwelgenden Innenraum unterstützt wird. Wenn man einmal im Werk in Crewe gesehen und erlebt hat, mit welcher Leidenschaft die Mitarbeiter dort das Interieur schaffen – wie das Leder minutiös auf kleinste Flecken untersucht wird, um dann anschließend von Hand um die Sitze und auf die Verkleidungen genäht zu werden, wie das Holzfurnier in stundenlanger Schleifarbeit in Form gebracht und zur Perfektion lackiert und auch die ausgefallensten Sonderwünsche erfüllt werden, das ist schon sehens- und bewundernswert.

Man sitzt also in einer kommoden Hülle, umhüllt von Holz und Leder, von einer perfekten Klimaanlage gepampert – eine kleine Insel der Seligen in einer ungemütlichen und rauhen Umwelt. Natürlich sind die Verbrauchswerte nicht mit denen eines Fiat Panda vergleichbar – es hat sich aber bei sehr leistungsstarken Fahrzeugen bewährt, mit Voraussicht zu fahren. Nicht nur, um dem Restverkehr nicht peinlich im Nacken zu sitzen – das hat man in solchen Fahrzeugen nicht nötig – sondern auch, um bereits mit etwas Voraussicht vom Gas zu gehen, und das Coupé sanft zum Vordermann hin ausrollen zu lassen. Damit wird erstaunlich viel Treibstoff gespart – trotz mehr als beachtlicher Durchschnittsgeschwindigkeiten benötigte der Continental GT auf der Autobahn nur knapp 14 Liter. Ein Betrag, über den man sich in seiner Jugend mit dem VW Käfer 1302 gefreut hätte – das zum Thema technischer Fortschritt. Dass die Verbrauchswerte im Stadtverkehr höher sind, ist logisch – allerdings dürften die meisten Continental-Besitzer für die Fahrt in die City andere Fahrzeuge besitzen und bevorzugen.

Kaum Grenzen bei der Konfiguration

Fahrzeuge wie der Bentley Continental GT – und seine Geschwister GTC und Flying Spur – sind aber nicht nur faszinierende Technik-Objekte, sondern sie erfüllen auch Träume. Kein Wunder, dass sie nie von der Stange kommen, sondern stets in langen Gesprächen konfiguriert werden, wobei man bei Bentley stolz ist, dass sich nahezu jeder Sonderwunsch – sofern er nicht die Zulassungsmodalitäten gefährdet – erfüllen lässt: Natürlich wurden schon Holz-Furniere von den Bäumen eigener Wälder verarbeitet und bei den Lackierungen sind auch schon Nagellack-Farben vorgelegt worden, die dann speziell gemischt und lackiert wurden. Welche Farbe das Leder haben soll, ist ebenso diskutabel wie die Bestickung der Sitze mit dem eigenen Wappen oder Bildern der Gattin – was aber den Wiederverkauf erschweren kann.

Umso bedauerlicher ist es, dass Bentley nun dem Bau des Zwölf- und Achtzylinders in Europa ein Ende gesetzt hat – die letzten Editionen konnten noch bis zum 14. November bestellt werden, zum Netto-Preis von 305.210,08 € für den Mulliner W12 und 316.403,36 € für das GTC Speed Edition 12-Cabriolet mit 659 PS Leistung. Und bei den Preisen ist das Thema Individualisierung noch nicht einmal berücksichtigt. Wie nicht anders zu erwarten, waren die letzten Verbrenner für Europa rasch ausverkauft, während sie in die USA noch lieferbar sind. Dass sich der Wertverlust in Grenzen halten dürfte, ist unvermeidlich.

Die Zukunft liegt – wie bereits beim Flying Spur und beim Bentayga vorexerziert – in der Hybridtechnik und relativ bald auch bei den vollelektrischen Varianten. Im Frühjahr wird der Bentley Continental GT also mit einem neuen Hybrid-Achtzylinder um die Gunst der Kunden werben. Wie weit der rein-elektrische Continental damit reisen wird, steht noch in den Sternen – auf jeden Fall wird das Reisen dann ein anderes sein.

So endet die Vision von Ferdinand Piëch von einem souveränen GT mit Zwölf und Acht Zylindern nach mehr als 90.000 gebauten und verkauften Exemplaren – und dabei sind die GTC- und Flying Spur-Modelle noch nicht mit eingerechnet. 20 souveräne Jahre, die die Marke Bentley am Leben gehalten und zu neuer Stärke geführt haben. Das sind Stückzahlen, mit denen beim Kauf vor einem Viertel-Jahrhundert nur die wenigsten VW-Oberen gerechnet haben dürften, die aber – wenn man die Qualität und Souveränität die sie ausstrahlen in Betracht zieht – doch nicht überraschen, denn der Drang nach Luxus hat sich weltweit verstärkt.

Bentley scheint für dieser Sucht nach Luxus perfekt ausgerichtet – das Label hat überlebt. Gut so…


Fotos Bentley Motors Ltd.

Autor: Jürgen Lewandowski

Jürgen Lewandowski schreibt seit mehr als 40 Jahren über Menschen und Autos - und hat mehr als 100 Bücher veröffentlicht. Traumklassiker: Alfa Romeo 8C 2900 Touring Spider und Lancia Rally 037. Eigener Klassiker: Alfa Romeo R.Z. von 1993.

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