Die Tradition der Mercedes-Benz S-Klasse

Geschichte der Mercedes-Benz S-Klasse Totale 1

Die Geschichte der Mercedes-Benz S-Klasse beginnt strenggenommen erst 1972 mit der Baureihe W 116. Gerade in der Abgrenzung gegenüber den kleineren Modellreihen wie der E und später der C-Klasse sah es das Management um den Vorstandsvorsitzenden Joachim Zahn als geboten an, die Oberklasse mit dem Titel der „Sonder-“ oder „Spezialklasse“ zu versehen.

Geschichte der Mercedes-Benz S-Klasse Totale 2

Beginnt die Geschichte der Mercedes-Benz S-Klasse aber nicht viel früher, mit den Oberklasse-Baureihen früherer Jahrzeuge? Um sich einer Antwort auf diese Frage zu nähern, hat sich das Mercedes-Benz Museum in einer Präsentation entschlossen, neun verschiedene Limousinen gegenüberzustellen, beginnend mit einem 220 Ponton (W180) und abschließend mit dem aktuellsten S 560 4Matic (W222) aus 2017. Und tatsächlich ergibt diese Ansammlung von Fahrzeugen ein schlüssiges Bild, was sowohl Gemeinsamkeiten als auch Brüche deutlich zutage fördert.

Die Anfänge der Geschichte der Mercedes-Benz S-Klasse

Im Mercedes-Benz 220 „Ponton“ W180, Baujahr 1955, fühlt man sich direkt in die westdeutschen 50er Jahre versetzt. Viergang-Lenkradschaltung, Gurtfreie bequeme Polstermöbel, ein durchgängiges Armaturenbrett aus massivem Holz und eine Leistung von 85 PS aus 2,2 Litern Hubraum.

Der Ponton wurde zwischen 1954 und 1959 gebaut, direkt im Anschluss folge die Baureihe W111, besser bekannt als die Heckflosse. Bei allen Kontrasten, die bei dieser Gegenüberstellung aufgetreten sind, war der Sprung zwischen Ponton und Heckflosse am Größten. Während man sich im W180 – bei allem Charme, den der Ponton verkörpert – tief im Deutschen Wirtschaftswunder wähnt, schlägt die Heckflosse die Tür in eine neue Epoche auf. Wieder arbeitet ein laufruhiger Reihensechszylinder, die Leistung stieg aber von 85 auf 120 PS. Aber nicht nur die signifikante Leistungssteigerung, auch die gemächliche Automatik, die straffe und federnde Polsterung und die Außenmaße machen einen gänzlich anderen Eindruck als der Ponton.

Der Übergang vom W111 zur Baureihe W109 ist aber nicht minder einschneidend. Zumal, wenn es sich um die stärkste Motorisierung, den 300 SEL 6.3, handelt. Ein Motor, der mit seinen 250 PS über jeden Zweifel erhaben ist und dem mal seine fast 40 Jahre kaum anmerkt – bis auf den Verbrauch möglicherweise. Dazu ein Interieur, was mit das eleganteste ist, was je in den Oberklasselimousinen von Mercedes-Benz verbaut wurde. Der sportliche Anstrich wird durch Details wie den zentral angeordneten kleinen Drehzahlmesser, vor allem aber durch den sonoren Sound des 6.3 Liter großen V8, abgerundet.

Mit der Baureihe W116 hielt zum ersten Mal der Name S-Klasse Einzug in die Oberklasse. Viele Neuerungen sind deutlich von außen sichtbar, vieles entscheidendes geschieht aber unter dem Blech. Gerade im Hinblick auf Sicherheitsstandards legt Mercedes-Benz die Messlatte ziemlich hoch, um mit dem 126er und 140er noch weitere Hürden zu überwinden.

Die Struktur der Karosserie ist deutlich steifer und auf die gestiegenen Sicherheitsanforderungen ausgerichtet und die großflächigen Scheinwerfer und die Schmutz abweisenden gerippten Heckleuchten versprachen auch mehr Sicherheit. Dass sich die geriffelten Rücklichter deutlich schwerer reinigen ließen, ist leider die andere Seite der Medaille. Auffälligste und nachhaltigste Sicherheitsausstattung ist das erstmals im Serienfahrzeug erhältliche Anti-Blockier-System ABS.

Der W126 griff viele Aspekte auf, setzte aber auch eigene Maßstäbe. Der cw-Wert war für Mercedes-Oberklasselimousinen sensationell gut, die Chrom-Stoßstangen wurden durch verformbare Kunststoff-Stoßfänger ersetzt, um auch Parkrempler unbeschadet überstehen zu können. 1981 hält der Airbag, heute wie das ABS ein zentrales Element der Automobilsicherheit, in der der S-Klasse Einzug in den Serienautomobilbau. Der Fahrer-Airbag, damals mit 1.500 DM noch teure Sonderausstattung, ist dabei mit einem pyrotechnischen Gurtstraffer für den Beifahrer kombiniert. Ab 1988 ist auch ein Beifahrer-Airbag erhältlich.

Den Abschluss der traditionellen S-Klassen bildet die Baureihe W140. Lange als „S-Tonne“ verspottet und vor allem durch die Anekdote bekannt, dass er nicht mehr auf den Autoreisezug nach Sylt passte, erfreut sich der 140er zunehmend wachsender Beliebtheit. Gewiss, die Ausmaße wirkten mitunter übertrieben und von der filigranen Linie des 126ers war nichts geblieben. Im direkten Vergleich mit den Vorgängern und Nachfolgern kann er wir ein grober, überproportionierter Klotz wirken; eingebettet in den Kontext seiner Zeitgenossen im Mercedes-Benz Portfolio ist der W140 aber die logische Konsequenz für die Oberklasse-Limousine. Als Abgrenzung nach unten zum W124 und dennoch eine ähnliche Formensprache wählend, konnte man nur in diese Richtung der Superlative gehen. Vor allem der deutsche Markt ging kritisch mit dem Modell um, in anderen Märkten war es deutlich beliebter. Was man dem 140er durchaus zugutehalten kann, die Maße sind nicht nur äußerliches Protzen, innen hat man ein unübertroffenes Raumgefühl. Wenn man mal in den Genuss gekommen ist, in einem 600 SEL hinten rechts Platz zu nehmen, hat man eine Ahnung davon, wie es sich anfühlen sollte, von einer Limousine chauffiert zu werden. Zumal wenn dazu noch der Zwölfzylinder leise aber kräftig für Vortrieb sorgt und die Doppelverglasung von außen alle störenden Geräusche filtert.

Geschichte der Mercedes-Benz S-Klasse – Eine Definitionsfrage

Puristen werde darauf bestehen, dass die Geschichte der Mercedes-Benz S-Klasse erst mit dem W116 beginnt. Der Ansatz des Mercedes-Benz Museums, den Begriff S-Klasse nicht an Definitionen oder Labels festzumachen, ist aber mehr als berechtigt. Sieht man alle Fahrzeuge vom W180 bis zum W222 aus 2017 in einer Reihe stehen und nimmt auf dem Fahrersitz Platz, kann man deutlich die rote Linie sehen, die sich durch alle Oberklassemodelle von Mercedes-Benz zieht. Der Ponton mag auf den ersten Blick etwas aus der Art schlagen, aber mal sollte sich nicht verleiten lassen, ihn mit den Nachfolgern aus dem eigenen Haus zu vergleichen, sondern ihn mit seinen Zeitgenossen. Gefühlt waren die Hälfte aller zugelassenen Fahrzeuge Volkswagen Käfer, aber auch gegenüber einem Ford Taunus oder Opel Kapitän hatte sich der Ponton Mercedes-typisch von seinen Wettbewerbern abgesetzt, lange bevor man den Slogan „Das Beste oder nichts“ für sich proklamierte.

Jede Baureihe präsentiert das Beste, was Mercedes-Benz seinem Oberklassemodell zuteilwerden lassen konnte. Stets mit dem Ansatz, eine standesgemäße Luxuslimousine auf die Straße zu bringen, die die Insassen bequem und sicher zum Ziel führen sollte. Auf Sportlichkeit wurde gerade bei den schwächer motorisierten bewusst nicht so sehr geachtet, unaufgeregte Gediegenheit sollte im Vordergrund stehen. Und natürlich sollten die Innovationen in Bezug auf die Sicherheit die Schlagzeilen schreiben. Nimmt man die zahlreichen Innovationen wie das ABS und der Airbag zum Beispiel, ist es den Sicherheits-Konstrukteuren um Karl-Heinz Baumann und Jürgen Paul gelungen, nicht nur für die eigene Marke Neuerungen zu entwickeln, sondern für die Fahrzeugsicherheit allgemein einen nachhaltigen Beitrag zu liefern.

Und so stellt sich die S-Klasse Generation für Generation den Herausforderungen, dem Ansatz der Marke Mercedes-Benz gerecht zu werden, Innovationen zu präsentieren und eine ruhmreiche Geschichte fortzuschreiben. Für die neun präsentierten Modelle treffen alle drei Punkte zu: Trotz der unterschiedlichen Erscheinungsform und dem Einfluß des Zeitgeistes, der Stammbaum ist deutlich abzulesen. Genauso, wie jede Generation mit Neuerungen aufwartete und weitreichende Innovationen für den gesamten Automobilbau präsentierte, gerade im Hinblick auf die Verkehrssicherheit. Das erklärt auch etwas, weshalb sich die Mercedes-Führung entschloss, die Bezeichnung „Sonderklasse“ über die eigenen Oberklasselimousinen zu schreiben.

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Fotos Dino Eisele, Hans-Dieter Seufert / Daimler AG

Autor: Paolo Ollig

Paolo Ollig schreibt als Chefredakteur regelmäßig über alle Raritäten und Meilensteine der Automobil- und Motorrad-Geschichte. Traum-Klassiker: Lamborghini Countach und Mercedes-Benz 300 SL. Eigener Klassiker: Mercedes-Benz 230 CE (W123) von 1981.

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