Porsche 996 – Die Rückkehr des Spiegeleis

Porsche-Fahrer sind Traditionalisten. Schon 1964 fanden die 356er-Fahrer den ersten 911 richtig schlecht: Zu groß, zu schwer, zu unförmig.
Heute kriegen 11-er Fans gerade von frühen Exemplaren den Hals nicht voll. Je niedriger die Fahrgestellnummer, desto teurer das Auto. Die Preise steigen in gefühlten 50.000er Schritten, je niedriger die Zahl ist. Und schon zwischen den Modelljahrgängen 1965 und 66 liegen Hunderttausende.
Porsche 996 stark im Kommen!
Als 1997 der Porsche 996 als neuer “11er” erschien, sagten alle: Lampen wie Spiegeleier und Wasserkühlung – das geht gar nicht. Doch mittlerweile hat der erste wirklich neue Porsche 911 seit 1964 seinen Platz auf dem Klassiker-Markt erkämpft. Was nicht verwundert. Schließlich konnte Porsche von dem Auto immerhin 175.000 Stück absetzen, mehr als von jedem Vorgänger. Und mindestens die seltenen Derivate Turbo S, GT2, GT3. GT3R und GT3 RS finden sich mittlerweile auf den Klassikermessen in Berlin, Bremen, Stuttgart und Essen. Dafür werden dann durchaus Preise von mehr als 100.000 Euro aufgerufen. Wer noch ein preiswertes Exemplar eines Porsche 996 findet, dem ist gut geraten, wenn er zuschlägt.,
Hätte vor ein paar Jahren der schlaue Det von RTL2-Grip bei seiner Schnäppchensuche ein schlecht gepflegtes Carrera 2 Coupé für um die 10.000 Euro entdecken können, niemand hätte sich gewundert. Heute sind schon Preise für gut gepflegte Exemplare in Höhe von deutlich über 20.000 Euro Usus, wie der Classic Trader Markt zeigt. Für gut gepflegte 4S mit niedriger Laufleistung reichen dagegen 40.000 Euro nicht mehr aus. Der preiswerteste Turbo notiert schon über 60.000 Euro. Auch auf der Retroclassics in Stuttgart waren schon 996 GT3 für um die 100.000 Euro zu sehen. Anfang 2015 taxierten die Experten von Auto Motor und Sport den Wagen noch auf rund 40.000 Euro. Für ein besonders rares GT2 – Exemplar ruft ein italienischer Händler deftige 180.000 Euro auf.
Als ich Dieter Landenberger, den Chefhistoriker der Porsche AG, per E-Mail um ein Statement für meinen Artikel bitte, greift er gleich zum Hörer. “Ich bin ein Fan des 996”, sagt er. Das einzige was der Wagen mit seinem luftkgekühlten Vorgänger gemein hat, ist das Wappen auf der Motorhaube und der Name.
Alles andere ist neu wie einst 1964. Der abgelöste 911 war seither stets nur fortgeschrieben worden. Gegenüber dem “Ur-Elfer”, auch “Kurzschwinge” genannt, verlängert ein gewißer Ferdinand Piech den Radstand, um das Auto fahrbar zu machen. Erst neue Legierungen ermöglichten den 2,7 Liter Motor. Und der Turbo glich erstmals die konstruktionsbedingten Nachteile der Luftkühlung halbwegs aus, stellte den Fahrer aber wegen seines unharmonischen Ansprechverhaltens und Fahrwerks vor große Herausforderungen. Der Allradantrieb brachte die Traktion beim 964 in eine Balance.
Mit dem 993, dem letzten Elfer auf der Basis des 1964 vorgestellten Wagens, war das Blatt ausgereizt. Die Produktion war unverhältnismäßig teuer, Abgasvorschriften konnten nicht mehr eingehalten werden und der Verbrauch der luftgekühlten Boxermotoren war auch zu hoch. Auch wenn mit dem 993 mit Ach und Krach der Turnaround geschafft war, Porsche stand Anfang der Neunziger vor dem Aus. Und Vorstandschef Wiedeking, der neue Boxster und der mit vielen “Gleichteilen” produzierte 996 brachten die Zuffenhausener nach vorne. Ein Automobilkonzern ist schließlich kein Institut zur Traditionspflege.
Der Porsche 996 zitierte die Ur-Form, ohne sich im bequemen Retro-Design zu ergehen. Das Auto ist breiter und länger und im Innenraum entfällt der preiswerte Look mit Schaltern aus dem VW-Käfer-Regal. Es gab sogar erstmals ein Navi. Der gänzlich neue Sechszylinder hatte nun Wasser- statt Luftkühlung. Wiedeking war ein Produktivitätsfetischist: Das Auto musste einfacher herzustellen sein und mit der zweiten, neuen Baureihe, dem Boxster, möglichst viele gleiche Teile haben. So führte Wiedeking Porsche nicht nur aus der Krise. Er machte Porsche zum profitabelsten Autohersteller der Welt mit 15% Umsatzrendite.
Möglichst viel gleiche Teile heißt aber nicht möglichst wenig Varianten. Von Porsches Neuanfang gab es bis zum Produktionsstopp 2005 rund 20 verschiedene Ausführungen, sagt Landenberger. Am seltensten ist der 996 GT3 R, von dem nur ca. 63 Autos produziert wurden. Und je weniger Exemplare einer Variante hergestellt wurden, desto wertvoller wird der einzelne Wagen meist später. 600 Turbos in der verschärften S-Variante sind entstanden, 682 GT3 RS liefen einst vom Band.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis etwa die GT2s, de Facto Turbo-Modelle mit Heckantrieb, von denen immerhin über 1200 Exemplare gebaut wurden, bei den großen Auktionshäusern aufgeliefert werden. Besonders interessant ist wahrscheinlich der Jahrgang 2005, weil damals nur noch 18 Autos produziert wurden.
Spekulanten sollten jedoch auch vom Porsche 996 die Finger lassen. Denn die Konstruktion braucht Wartung und gute Pflege. Um ein Detail zu nennen, schon das Basismodell verfügt über eine Öldruckpumpe und drei Lenzpumpen. Turbo und GT2 haben gar sieben Pumpen für die integrierte Trockensumpfschmierung an Bord. Und Ölpumpen können auch kaputt gehen. Und das ist nur ein Beispiel für die hohen Unterhaltskosten. Und exorbitante Preissteigerung in der Vergangenheit müssen sich nicht immer in die Zukunft fortschreiben lassen. Das erleben derzeit die Eigentümer der Vorgängermodelle 964, 993 oder auch des Carrera GT und des 959, die die Preise des Vorjahres teilweise deutlich verfehlen. Auch der HAGI-P-Index der Historic Automobile Group International, der die Wertentwicklung von 14 klassischen Porsche mißt, ging seit Jahresanfang um rund einen Prozent zurück.
Enthusiasten mit Expertise kann man den Porsche 996 jedoch gut empfehlen. Auch wenn die “normalen 996” Carrera 2 Coupés (ca. 35.000 Stück in Europa) oder Carrera 4 Coupés (ca. 31.000 Stück in Europa) preiswert sind und nicht so schnell im Wert gewinnen werden wie die seltenen Derivate, sind sie doch ein preiswerter Einstieg in die 911er Welt. Und die meisten Nachbarn können sie ja auch nicht von einem 993 unterscheiden, was den Neidfaktor in die Höhe treibt. Die hohen Wartungskosten werden wohl in jedem Fall zumindest durch die Wertstabilität kompensiert.
Text Carl Christian Jancke // Fotos Porsche, Classic Trader
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