Next Generation – was ist ein Youngtimer?

Youngtimer Collage 2

Wo fängt ein Oldtimer an und hört ein Youngtimer auf? Fragt man die reifere Generation – gemeint sind die Best-Ager ab 60 – was ein Oldtimer ist, bekommt man stets die gleichen Antworten: „…schöne, geschwungene Formen mit freistehenden Kotflügeln“ oder „Wenn kein Chrom mehr dran ist, dann ist es auch kein Oldtimer!“ sind die gängigsten Kommentare, die man in der Klassik-Abteilung eines Autohauses von den Besuchern fast täglich hört. Es folgt die Frage: “…was macht denn das Auto hier bei Ihnen? Das ist doch kein Oldtimer!“ Der Blick des Besuchers deutet dann meist in Richtung eines gepflegten Mercedes-Benz E-Klasse Cabrios der Baureihe 124 oder einen SL aus der 129er Baureihe.

Youngtimer Mercedes Benz A 124 Cabrio

Bei beiden Typen ist sich die Fachwelt sicher, dass es sich um Klassiker – im Speziellen Youngtimer – handelt. Diesen Begriff gab es bis vor circa 25 Jahren allerdings noch gar nicht. Entweder ein Auto war ein Neuwagen, ein Gebrauchtwagen, ein Oldtimer – auch gerne „Schnauferl“ mit Messingkühler – oder eben eine „alte Karre“, für die sich nur Latzhose-tragende Freaks mit öligen Händen interessieren. „Alte Karren“ waren damals in der Wahrnehmung vieler auch Autos wie zum Beispiel frühe 911er Porsche, Mercedes-Benz 280 SE 3.5 Coupés und Cabrios, Käfer Cabrios…

Youngtimer vs. Oldtimer – was heißt schon alt?

Die Zeit steht nicht still und die Empfindung, was alt, was cool, teuer und gefragt ist, definiert sich ständig neu. Die gute Nachricht ist nämlich: Je mehr Zeit vergeht, umso mehr interessante Autos, die wir heute vielleicht noch gar nicht auf dem Schirm haben, tauchen irgendwann mal im Markt als Klassiker auf.

Welche das sind, kann man ahnen; Gewissheit gibt es jedoch nicht. Fakt ist, dass das Objekt der Begierde fast immer der jeweilige Kindheitstraum des Kunden ist – und dem jeweiligen Zeitgeist entspricht. In den 80ern wuchs das Interesse an Flügeltürern und Porsche 356, in den 90ern hatten die ersten Interessenten romantische Gefühle für eine Pagode, in den 2000ern stiegen die Preise für Mercedes-Benz SL der Baureihe 107. Der zeitliche Abstand beim Blick zurück wird aber immer kürzer – so wurde unweigerlich der Youngtimer geboren.

Wenn man jeden Tag als Verkäufer für klassische Fahrzeuge in einem Autohaus verbringt, stellt man sich die Frage nach dem kommenden Youngtimer andauernd aufs Neue. Nach der Faustformel „Was früher selten und teuer war, wird früher oder später wieder selten und teuer sein“ kennt man seine Pappenheimer: Cabrios, Roadster, gut ausgestattete Coupés, Sondermodelle – möglichst mit 1-2 Haltereinträgen und 5-stelliger Laufleistung mit sauberer Vita rücken in den Fokus.

Youngtimer Collage 3

Youngtimer in der Praxis

Während man selbst noch darüber sinniert, ob der CLK der Baureihe 208 das Potential zum Klassiker hat, bietet einem bereits ein Neuwagen-Kollege den Nachfolger 209 aus 2007 mit 16.000km aus einer Inzahlungnahme mit dem Kommentar an: „…zu schade für die Händler-Auktion – das wird doch bestimmt ein Klassiker, oder?“. …und schon sieht man die Welt wieder ein klein wenig anders, wenn über Nacht plötzlich zehnjährige Gebrauchte als Klassiker wahrgenommen werden – vor allem, wenn sie dann mit fast noch warmem Motor verkauft werden!

Aber so, wie jeder Mercedes SL einmal zum Klassiker reifte, passiert dies auch im weniger exklusiven Preisniveau. Heckflosse, /8 und W123 haben längst ihren Nachfolger gefunden. Selten werden heute noch wie in den 80ern üblich Ex-Rentner-E-Klassen von Studenten mit der Lammfellrolle mattschwarz lackiert und dann bis zum bitteren Ende ohne jede Pflege heruntergeritten, sobald sie ihren „Junge Sterne“ Status verloren haben und zu günstigen Gebrauchten geworden sind.

Youngtimer Mercedes S Klasse Flotte

Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht absehbar, weshalb man Kritikern entspannt begegnen kann, die behaupten, alles nach 1995 kann kein Klassiker mehr werden. Das Einzige, was dem Trend im Wege steht, ist die Tatsache, dass inzwischen ein neues oder wenigstens junges Auto oftmals nicht mehr die gleiche Wertschätzung erfährt, wie bis in die 80er Jahre, als man noch geduldig 2-3 Jahre auf seinen neuen 200 E wartete. Die Produkt-Lebenszyklen sind kürzer geworden, das Modell-Programm der meisten Hersteller deutlich breiter – und bar bezahlt werden die wenigsten Neuwagen. Die Hemmschwelle, ein Auto nach drei Jahren ohne zu zucken einfach beim Händler wieder abzustellen, ist deutlich gesunken, weshalb der Erstbesitzer erst gar keine emotionale Bindung zu seinem Auto aufbaut.

Gott sei Dank gibt es sie aber noch – die Schoner, Pfleger und Wenigfahrer, die ihr Auto nur bei Sonnenschein aus der beheizten Garage holen und dann erstmal warmfahren, bevor es auf den Sonntagsausflug geht!

Ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich ein Auge auf W210 und W202er in unserer Werkstatt werfe, die einen ordentlichen Eindruck machen; also die letzten Jahre in der fast schon liebevollen Hand eines „Pflegers“ verbracht haben, statt in fünfter Hand Bauschutt und Grünschnitt zur örtlichen Deponie transportiert zu haben.

…vor allem, wenn das Kürzel „AMG“ auf dem Heckdeckel angebracht ist und der im Idealfall einzige Besitzer innerhalb von schonend gefahrenen und sauber dokumentierten 50.000km nur hin und wieder mal ein Golf-Bag im Kofferraum verstaut hat.

Wird ein solches Auto angeboten, sollte man jetzt zuschlagen. Nicht wegen der bevorstehenden Wertentwicklung, sondern weil man wahrscheinlich nie wieder mehr Fahrspaß für weniger Geld bekommen wird.

Youngtimer Mercedes Benz R 129


Fotos BMW AG, Daimler AG, FIAT Chrysler Automobiles N.V., Volkswagen AG, Classic Trader

Autor: Christian Nikolai

Christian schreibt regelmäßig für Classic Trader; in erster Linie über Klassiker mit Stern. Seit Ende der 90er arbeitete Christian im Marketing und Vertrieb der Daimler sowie für einige Mercedes-Benz Händler, wo er die dortigen Classic-Abteilungen aufbaute und führte. 2020 hat er sich mit seiner Automotive Unternehmensberatung "RaumLenker MotorConsult" selbständig gemacht, die sich mit der Entwicklung von Vertriebs- und Marketingkonzepten beschäftigt. Außerdem engagiert er sich für Kraftstoff aus nachwachsenden Rohstoffen. Auto-Enthusiasten steht er beim Kauf eines klassischen Fahrzeugs gerne zur Seite. Zum Abschalten steht eine klassische Blech-Vespa in seiner Garage.

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