Kolumne Zeitsprünge | Smart – Spaß auf vier Rädern

1998 Smart City-Coupe Fortwo (6)

Vergessen wir den Elchtest, die Zweifler und die Nörgler: Der Smart ist da. Ein Text aus dem Erscheinungsjahr 1998 des Smart City-Coupé, später ForTwo genannt.

Populär ist er seit Jahren, doch jetzt steht der trendig-smarte Vertreter der Microklasse endlich vor der Markteinführung. Dahinter steckt eine ausgeklügelte Organisation: eigenes Label, eigene Fabrik in Lothringen und eigene Verkaufsorganisation, die sich in städtischen Ballungsräumen und Einkaufszentren breitmacht. Der Aufwand ergibt Sinn, nicht zuletzt deshalb, damit das von den Marketingstrategen prophezeite jugendliche Publikum auch den Weg zum Smart-Verkäufer findet – und nicht vor lauter Schwellenangst vor dem dunkel gewandeten S-Klasse-Verkäufer doch den Weg zu einem VW-Lupo-Vertrag sucht.

Dass sich in den vergangenen Jahren rund um den Smart ein hohes Maß an Irritation aufbaute, lag auch daran, dass sich dieser strikte Zweisitzer vielen liebgewonnenen Vorurteilen entgegensetzte. Wie zum Beispiel: Hin und wieder braucht man einfach drei oder vier Sitze. Oder: Kann so eine kleine Kugel überhaupt sicher sein? Gerne wurde auch der Einwand gebracht: Für den Zweitwagen zu klein – und für den Drittwagen zu teuer.

Mit Selbstbewusstsein bis zur Serienreife des Smart

Es bedurfte schon eines gehörigen Maßes an Selbstbewusstsein, dieses Projekt dennoch konsequent durchzuziehen – und als der Smart dann im vergangenen Jahr auf dem Frankfurter Automobilsalon seine Weltpremiere feierte, schien sich die Vision eines Stadtfahrzeugs durchgesetzt zu haben.

Dass er dann jedoch wegen des Elchtests noch einmal unter Beschuss geriet und von einem Markt (den er noch gar nicht gesehen hatte) zurückgezogen wurde, war einmal mehr Wasser auf die Mühlen aller Smart-Zweifler. Und es gab auch intern heftige Kritik an dem Gefährt, das so gar nicht zu den Edelgefährten der ältesten Autofirma der Welt passen wollte.

1998 Smart City-Coupe Fortwo (5)

Deshalb galt: Absicherung total. Und mit der Hilfe von Mercedes-Milliarden steht der Smart nun derart unumstößlich auf den Rädern, dass die Pressemappe diesem Thema nicht weniger als drei eng bedruckte Seiten widmet. Selbst der Tatsache, dass der Smart mit seiner Gesamtlänge von nur 2,50 Metern ein sehr kurzes Gefährt geworden ist, gewinnen die PR-Strategen einen Wettbewerbsvorteil ab: „Durch den relativ kurzen Radstand trifft ein möglicher Unfallgegner mit hoher Wahrscheinlichkeit immer eine der beiden Achsen, die so als zusätzliche Versteifungselemente dienen“.

Doch welcher Käufer denkt schon beim Erwerb eines Smart an eventuelle Unfälle? Schließlich haben sie sich als besonders weit denkende Menschen zu erkennen gegeben.

Was aber erwartet nun den Käufer eines Smart? Ein witziges, unglaublich handliches Gefährt, das nicht nur eine Schneise stets freundlich grinsender und fröhlich winkender Menschen hinterlässt, sondern sich auch erstaunlich erwachsen fährt. Der Grund dafür liegt zuerst einmal in der Sitzposition, die derart weit hinten liegt, dass man vor sich ein völlig normales, ausgewachsenes Fahrzeug vorfindet – erst wenn man sich umdreht und feststellt, dass der Smart nur wenige Zentimeter hinter einem endet, beginnt man zu begreifen, warum dieser Zweisitzer nur 2,50 Meter lang geraten ist.

Smart – Wie ein Fisch im Wasser

Dass der Smart im normalen Stadtverkehr munter wie ein Fisch im Wasser mitschwimmt – und sich nicht als das befürchtete Verkehrshindernis entpuppt –, liegt natürlich am geringen Gewicht von nur 720 Kilogramm, mit dem die beiden angebotenen Dreizylindermotoren nur wenig Probleme haben. Die 100-km/h-Grenze wird in 17,2 Sekunden erreicht – und die Höchstgeschwindigkeit wird elektronisch bei Tempo 135 abgeriegelt.

Da der Smart als reines (Groß-)Stadtfahrzeug ausgelegt ist, haben sich seine Väter vor allem darum bemüht, ihn bis zu Tempo 60 oder 80 temperamentvoll wirken zu lassen – aber er wirkt auch auf Landstraßen und auf der Autobahn keineswegs untermotorisiert, wo die Insassen sogar an Steigungen nicht „verhungern“, sondern gut mitschwimmen können. Diese längeren Fahrten demonstrieren aber auch, dass es den Technikern gelungen ist, dem Fahrwerk ein beachtliches Maß an Komfort mit auf den Weg zu geben – dass sich der kurze Radstand bei Querrillen zuweilen bemerkbar macht, war hingegen zu erwarten.

Das City-Coupé, der als Basisversion „Smart & Pure“ mit 33 kW von Oktober an für 12.950 Franken bei den Smart-Händlern stehen, wird in zwei weiteren Varianten angeboten: als „Smart & Pulse“ mit 44-kW Leistung für 14.150 Franken und als ein auf 7500 Exemplare limitiertes Sondermodell unter der Bezeichnung „Limited/1“ für 16.350 Franken.

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Allen Modellen ist eine beachtliche Serienausstattung gemeinsam, die auch Features wie elektrische Fensterheber oder zwei Fullsize-Airbags umfasst – aber die Aufpreisliste, mit deren Hilfe sich jeder Käufer sein persönliches Exemplar zusammenstellen kann, ist noch länger und umfasst von den Leichtmetallfelgen über den Heckträger bis hin zu Drehzahlmesser, Kinderrückhaltesystemen, CD-Wechsler, Getränkehalter und einer 12-Volt-Steckdose nahezu alles, womit man aus diesem City-Gefährt ein Luxusgefährt machen kann.

Mit dem Smart ist es Mercedes-Benz zweifellos geglückt, aus der Idee des Nicolas Hayek das Optimum zu machen – sehr viel sicherer und komfortabler lässt es sich auf 2,50 Meter Länge nicht mehr reisen. Dass Nicolas Hayek im Laufe dieser Milliarden verschlingenden Entwicklung mit seinem 50-prozentigen Anteil auf der Strecke geblieben ist, war zu erwarten – bei den nötigen Kapitalerhöhungen konnte und wollte er nicht mitziehen.

Ersatz sich aber damit trösten, dass er der wahrscheinlich letzte Mann in der Geschichte des Automobils sein wird, der eine Idee vom Reißbrett bis zur Serienreife initiiert hat. Doch obwohl die Smart-Zentrale bereits über Zehntausende von Vorbestellungen verfügt, ist das Projekt selber noch lange nicht über den Berg – und das weiß natürlich auch die Konzernzentrale in Stuttgart.

Man rätselt, ob sich die Geisteshaltung der Konsumenten gegenüber dem Automobil ändern wird und ob die Kunden tatsächlich bereit sind, ihre Fahrgewohnheiten zu ändern. Diese Antworten beeinflussen auch die Strategie der anderen Modelle der Marke mit dem Stern – und die Stuttgarter haben sich bereits einiges einfallen lassen: So sollen in Parkhäusern für superkompakte Fahrzeuge wie den Smart spezielle und kostengünstige Parkplätze eingerichtet werden. Zudem soll der Smart durch die Zusammenarbeit mit lokalen Verkehrsbetrieben und anderen Verkehrsträgern in Reiseketten mit anderen Verkehrsmitteln eingebunden werden. Darüber hinaus erhalten die Smart-Kunden ein Gutscheinheft, um bei Avis zu äußerst günstigen Konditionen ein zusätzliches Fahrzeug zu mieten.

Es ist genau diese Vielfalt an Aktivitäten, die den Beweis dafür liefern, dass man sich beim Hersteller seiner Sache noch nicht so sicher ist – und dass man mit dieser Fülle an Serviceangeboten die Bedenken in den Köpfen potentieller Kunden ausräumen will.

Man darf gespannt sein, ob die Anfangsbegeisterung – die die Produktion des ersten Jahres problemlos aufnehmen wird – anhält und ob die riesigen aufgebauten Kapazitäten auch noch in ein paar Jahren benötigt werden. Oder ob der Smart dereinst als Messerschmitt-Kabinenroller der Jahrtausendwende in Museen enden wird.

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Dieser Text ist erstmals in Die Weltwoche Nr. 28 vom 9. Juli 1998 erschienen.


Fotos Mercedes-Benz AG

Autor: Jürgen Lewandowski

Jürgen Lewandowski schreibt seit mehr als 40 Jahren über Menschen und Autos - und hat mehr als 100 Bücher veröffentlicht. Traumklassiker: Alfa Romeo 8C 2900 Touring Spider und Lancia Rally 037. Eigener Klassiker: Alfa Romeo R.Z. von 1993.

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