Kolumne Zeitsprünge | Simca Horizon – Golf à la française?

1983 Talbot Simca Horizon (1)

Mit dem Simca Horizon soll ein neuer Kleinwagen aus Frankreich – with a little help from the USA – auch deutsche Kunden überzeugen.

Die Kleinwagen und Automobile der unteren Mittelklasse werden sich innerlich und äußerlich immer ähnlicher: Unter dem mit großen Glasflächen, gerade abfallendem Heck und großer Heckklappe versehenen Blechkleid ist mit schöner Regelmäßigkeit ein querstehender Vierzylinder eingebaut, der natürlich die Vorderräder antreibt. SO fing es mit dem MINI an, und nach diesem Muster sind der VW Polo, der Golf, der Ford Fiesta – und wie sie alle heißen mögen – gestrickt.

Der neue Simca Horizon macht da keine Ausnahme – mit gutem Grund: Die Chrysler-Oberen haben erkannt, dass das Publikum eben Autos mit vier Türen, Heckklappe und nicht mehr als vier Meter Länge wünscht (Ergebnis einer aufwändigen Marktanalyse von Simca-France).

So stand denn nach einem Jahr Entwicklungszeit im Frühjahr 1975 ein Gipsmodell vor den gestrengen Augen des Vorstands, dass zwar nicht besonders auffällig aussah, andererseits aber eine gute Raumausnutzung bei vernünftigen Abmessungen versprach.

1983 Talbot Simca Horizon (4)

Neue US-Verbrauchsziele

Zur gleichen Zeit begann auch Präsident Gerald Ford, die Amerikaner mit neuen Gesetzen zu verunsichern, die den traditionell hohen Benzinverbrauch der Fahrzeuge einschränken sollten. Chrysler-USA zog daraus rasch die Konsequenzen, erinnerte sich an das Horizon-Projekt ihrer europäischen Tochter und stieg am 21. April 1975 mit in das Programm ein.

Das Ergebnis der monatelangen gemeinsamen Entwicklungsarbeit: Das US-Modell musste sich nur in relativ wenigen Punkten von der europäischen Variante unterscheiden. Man beschloss, verschiedene Motoren und Getriebe anzubieten; außerdem hielt man für den europäischen Markt eine aufwändigere Federung für notwendig. Andererseits verwies es sich aber, dass die meisten Bauteile gemeinsam beibehalten werden konnten.

Während sich die Amerikaner um den Innenraum kümmerten, waren die Stylisten aus Frankreich für das Drumherum verantwortlich. Die von ihnen abgelieferte Karosserie ist glatt, schnörkellos, sehr übersichtlich und sehr unauffällig. Im Innenraum ist erstaunlich viel Platz vorhanden: Vier Personen können hier auch eine größere Strecke unbeschadet überstehen. Dass zuweilen leichtes Unbehagen auftaucht, liegt an den zu weich gepolsterten Sitzen, die den Begriff „Seitenführung“ leider nicht kennen und außerdem etwas zu kurz geraten sind.

Die Kompromisse beim Simca Horizon durch den amerikanischen Einfluss

Eigentlich schade, diese kleinen Mängel. Macht sich doch der höhere Aufwand, der bei der europäischen Version am Fahrwerk betrieben wurde, angenehm bemerkbar. Der Horizon schluckt größere und kleinere Bodenwellen auffallend gut und muss zu den komfortablen Autos seiner Klasse gezählt werden.

Die Vorderachse mit ihrer Einzelradaufhängung mit längsliegenden Drehstäben – die übrigens mit der des Simca 1100 identisch ist – und die einzelnen aufgehängten Räder hinten sorgen in Verbindung mit den an beiden Achsen installierten Stabilisatoren für ein harmloses Fahrverhalten des kleinen Franzosen. Leicht untersteuernd, durchfährt man die Kurven; hier stört eigentlich nur die viele Lenkarbeit, die die indirekte Lenkung erforderlich macht.

Den Vortrieb besorgen Simca Horizon gute alte Bekannte: Der 1. 118 ccm und der 1.294 ccm große Reihen-Vierzylinder des altehrwürdigen Simca 1100. Dieses bewährte und ausgereifte Triebwerk wird in drei verschiedenen Varianten eingebaut: Im Horizon LS sorgen 1.118 ccm und eine Normalbenzin vertragende Verdichtung für 55 PS (40 kW); das bringt den LS auf 140 km/h Höchstgeschwindigkeit und sorgt für eine Beschleunigung in 19,5 Sekunden vom Stand aus auf 100 km/h.

1983 Talbot Simca Horizon (2)

Bewährtes Simca-Material im Simca Horizon

Der Horizon GL hat zwar denselben Hubraum, die Verdichtung ist aber von 8,8:1 (beim LS) auf 9,6:1 gebracht worden. Diese Maßnahme bringt glatte 4 PS (3 kW) und 5 km/h mehr Spitze; Tempo 100 wird eine Sekunde früher als beim LS. Der Horizon GLS, das Spitzenmodell der neuen Reihe, besitzt als einziger 1.294 ccm Hubraum. Auch er benötigt für seine 68 PS (50 kW) Superbenzin. Höchstgeschwindigkeit 152 km/h und 16 Sekunden für den Spurt auf Tempo 100. Während alle drei Motorvarianten im unteren und mittleren Drehzahlbereich noch ziemlich leise sind, teilen Sie dem Fahrer bei hohen Drehzahlen doch recht deutlich mit, dass sie einiges an Gewicht zu schleppen haben, besonders der 1,3-Liter-Motor des GLS wird unangenehm laut. Ob in den Versuchsabteilungen von Simca bereits die nächste Motoren-Generation auf dem Prüfstand läuft?

Ansonsten haben sich die Franzosen aber alle Mühe gegeben, ihren Kleinsten mit den modernsten Errungenschaften der Technik auf den Markt zu schicken. Das reicht von der Kataphorese-Lackierung (ein besonderes Rostschutzverfahren) über die serienmäßigen Transistorzündung (Vorteile: keine Wartung, keine Verschleißteile, mehr Kaltstart-Sicherheit) bis hin zur kältefesten Digitaluhr.

Die Kinderkrankheiten, von denen konstruierte Fahrzeuge zumeist befallen werden, glaubt Chrysler Simca, bereits von vorneherein aus dem Wege geräumt zu haben: In einer eigens aufgebauten „Automobilfabrik im Kleinen“ wurden zunächst 16 Prototypen in Handarbeit gebaut, dann folgten 60 Versuchswagen, die über die Teststrecken gejagt wurden, bis schließlich im Herbst 1977 die eigentliche frohe Serie von 300 Exemplaren diese Miniaturfabrik verließ. Hier wurden so viele Erfahrungen gesammelt, dass die Tagesproduktion bereits jetzt im Frühjahr die 1000-Stück-Grenze überschreiten soll.

Dass dieser Wagen die Verkaufserwartungen erfüllen wird, steht außer Frage. Die Händler freuen sich: „Wir haben schon jetzt überraschende Verkaufserfolge.“


Dieser Text ist erstmals in der Zeitschrift hobby Nr. 10/1978 erschienen.

Die Bilder zeigen einen 1983 Horizon, der ab 1979 unter der Marke Talbot verkauft wurde.


Fotos Classic Trader

Autor: Jürgen Lewandowski

Jürgen Lewandowski schreibt seit mehr als 40 Jahren über Menschen und Autos - und hat mehr als 100 Bücher veröffentlicht. Traumklassiker: Alfa Romeo 8C 2900 Touring Spider und Lancia Rally 037. Eigener Klassiker: Alfa Romeo R.Z. von 1993.

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