Kolumne Zeitsprünge | Mercedes-Benz C-Klasse – Das Imperium schlägt zurück

1993 Mercedes-Benz C-Klasse W 202 (30)

1993 wird die erste Mercedes-Benz C-Klasse Baureihe 202 präsentiert, größer, sicherer und umweltfreundlicher. Ein Beitrag von Jürgen Lewandowski aus der SZ 1993.

Die älteste Automobilfirma der Welt hatte eigentlich nie Fahrzeuge für die breite Masse bauen wollen – die Modelle waren stets elitär, perfekt und teuer. „Eines Tages landet jeder bei einem Mercedes-Benz“, pflegten die alten Vorstände vom Schlage eines Nallinger, Uhlenhaut oder Scherenberg zu verkünden, „spätestens dann, wenn die Schwächen der Konkurrenz zu offen zu Tage treten“.

Die Amerikaner zwangen dann die Stuttgarter zu dem Schritt zum Baby-Benz – der kleine 190er war die direkte Reaktion auf den Energy Policy Conservation Act, der (als direkte Reaktion auf die erste Ölkrise von 1973) die Bestimmungen zur Reduzierung des Treibstoffverbrauchs (CAFE) enthielt. Diese sogenannte Flottengesetzgebung zwang Mercedes-Benz geradezu, eine sparsame Modellreihe zu entwickeln, um die großen Modelle weiter verkaufen zu können – das Ergebnis war der im Dezember 1982 präsentierte und von der Jahreswende 82/83 an verkaufte 190er.

Die neue Baureihe bekam die interne Bezeichnung „C 201“ – und sie wurde bis in diese Tage in knapp zwei Millionen Exemplare gefertigt. Der 190er bescherte dem Unternehmen aber nicht nur beachtliche Gewinne, sondern auch bei jüngeren Käuferinnen und Käufern ein neues MB-Image – das mit den erfolgreichen Renneinsätzen weiter aufgebügelt wurde.

1993 Mercedes-Benz C-Klasse W 202 (2)

Die Mercedes-Benz C-Klasse tritt in die Fußstapfen des 190ers

Dennoch: Eines Tages war ein Nachfolger fällig – und dass es nicht weniger als elf Jahre gedauert hat, bis der „C 202“ nun bei den Händlern steht, wird von internen Stimmen gerne als Beweis dafür gewertet, wie gut der „Alte“ doch gewesen sei. Externe Beobachter sahen in diesem immensen Zeitraum doch eher ein Ringen darum, wie und in welcher Form sich der Nachfolger zu präsentieren hatte – und die Tatsache, dass erst vor 40 Monaten damit begonnen wurde, dem „C 202“ erste seine definitive Form und Gestalt zu geben, spricht auch dafür, dass das Haus durch die grundlegenden strukturellen Veränderungen der Organisation mehr Leerlauf erfahren musste, als man es zuzugeben bereit ist.

Dennoch: Das Ergebnis ist beachtlich – und es bestätigt nur, was die SZ bereits im Februar nach einer ersten Besichtigung des Neuen konstatierte: „Der C 202 ist einmal mehr der Beweis dafür, dass der älteste Automobil-Hersteller der Welt immer dann zu Höchstform aufläuft, wenn der Wind von vorne bläst“.

Das beginnt mit einer eleganten Karosserie, die die Mercedes-Linie weiter verfeinert und perfektioniert – und das Unternehmen wieder etwas aus der unglücklichen Ästhetik-Diskussion wieder herausnehmen wird. Die Proportionen stimmen, die Rundumsicht ist gut und der Innenraum bietet – dank einer maßvollen Vergrößerung um knapp vier Zentimeter – nun den Raum, den die Kunden in dieser Klasse zu Recht erwarten. Die Sitzposition lässt sich dank vielfacher Verstellmöglichkeiten, allen Körperformen und -größen problemlos anpassen, und besonders die Fondpassagiere dürfen nun auch die Pubertät hinter sich gelassen haben, ohne unter Platzängsten zu leiden.

1993 Mercedes-Benz C-Klasse W 202 (13)


Weiter geht es mit der Motorisierung der Mercedes-Benz C-Klasse, die insgesamt vier Benzin- und drei Diesel-Varianten umfasst:

C 180 – Vierzylindermotor mit 90 kW (122 PS) Leistung, Höchstgeschwindigkeit 193 km/h, Null auf 100 km/h: 12,2 sec, DIN-Drittelmix: 8,5 Liter Super auf 100 Kilometer. Preis: 40.825 Mark.

C 200 – Vierzylindermotor mit 100 kW (136 PS) Leistung, Höchstgeschwindigkeit 198 km/h, Null auf 100 km/h: 10,8 sec, DIN-Drittelmix: 8,5 Liter Super auf 100 Kilometer. Preis: 46.460 Mark.

C 220 – Vierzylindermotor mit 110 kW (150 PS) Leistung, Höchstgeschwindigkeit 210 km/h, Null auf 100 km/h: 10,4 sec, DIN-Drittelmix: 8,7 Liter Super auf 100 Kilometer. Preis: 50.255 Mark.

C 280 – Sechszylindermotor mit 142 kW (193 PS) Leistung, Höchstgeschwindigkeit 230 km/h, Null auf 100 km/h: 8,8 sec, DIN-Drittelmix: 10,6 Liter Super auf 100 Kilometer. Preis: 57.845 Mark.

C 200 Diesel – Vierzylindermotor mit 55 kW (75 PS) Leistung, Höchstgeschwindigkeit 160 km/h, Null auf 100 km/h: 18,4 sec, DIN-Drittelmix: 6,6 Liter Diesel auf 100 Kilometer. Preis: 42.435 Mark.

C 220 Diesel – Vierzylindermotor mit 70 kW (95 PS) Leistung, Höchstgeschwindigkeit 175 km/h, Null auf 100 km/h: 16,3 sec, DIN-Drittelmix: 6,9 Liter Diesel auf 100 Kilometer. Preis: 44.275 Mark.

C 250 Diesel – Fünfzylindermotor mit 83 kW (113 PS) Leistung, Höchstgeschwindigkeit 190 km/h, Null auf 100 km/h: 14,8 sec, DIN-Drittelmix: 7,0 Liter Diesel auf 100 Kilometer. Preis: 49.565 Mark.

Wobei noch anzumerken wäre, dass sechs Triebwerke – alle außer dem 2-Liter-Dieselmotor – über Vierventiltechnik verfügen, dass das Fünfganggetriebe bei allen Fahrzeugen serienmäßig ist und dass der C 200 erst von Frühjahr 1994 an lieferbar sein wird.


Bei den ersten Fahrten konnten wir folgende Varianten fahren:

Den C 180 mit Automatikgetriebe, der lediglich an Steigungen etwas unter dem Gewicht von rund 1,4 Tonnen litt und zum aktiven Eingreifen in das Getriebe animierte. Ansonsten entpuppte sich das Einsteigermodell als vollwertiger Mercedes, der seine Insassen auch nach längeren Fahrten ohne größere Erschöpfungszustände entlassen dürfte.

Den C 220 mit Handschaltung, der mehr als ausreichend Leistung zur Verfügung stellt und Fahrleistungen bietet, die vor kurzem noch wesentlich stärkeren Limousinen vorbehalten waren.

Den C 280 mit Handschaltung, dessen 193 PS nicht nur Sportwagenleistungen bewirken, sondern auch demonstrieren, über welch gute Fahrwerke und Bremsen Limousinen heute verfügen können. Direkt auf den BMW 325i angesetzt, dürfte diese Variante den Münchnern manchen Kunden abspenstig machen – und auch das Thema Sportlichkeit zumindest teilweise wieder nach Stuttgart transponieren.

Den C 200 Diesel, der beste Mercedes-Tradition – nämlich Sparsamkeit und Solidität – in sich vereinigt und über genügend Leistung verfügt, um im Verkehr zumindest problemlos mithalten zu können.

Den C 250 Diesel, der ein Wunder an Laufruhe, Elastizität und Temperament ist, und die Insassen nach dem Aussteigen mit der Frage konfrontiert, warum Diesel-Triebwerke bei uns noch immer den Ruf von Bauern- und Taxifahrer-Motoren haben.

Nähern wir uns noch einem weiteren Grund, der die Entwicklungszeit beeinflusst hat – dem lieben Geld. Mercedes-Benz war ja bislang stets ein Unternehmen, dessen neue Modellreihen nach dem Motto „Was deutlich besser ist, darf auch deutlich mehr kosten“ mit einem satten Preisaufschlag zu bezahlen waren. Die Mercedes-Benz C-Klasse Baureihe 202 bricht als erste MB-Novität mit dieser Politik – der Neue kostet praktisch dasselbe wie sein Vorgänger.

Damit diese völlig neue Preispolitik auch realisiert werden konnte, musste der Wagen noch einmal komplett durchgearbeitet werden: Leuchtzeichen dieser Abspeckaktion sind die relativ billig wirkenden Hebel und Bedienungsknöpfe sowie die dürr in der Hand liegenden Türgriffe. An Basiswerten wie der weiter gesteigerten Sicherheit, der nahezu 100prozentigen Recyclingfähigkeit und dem hervorragenden Fahrwerk (mit neuer Doppelquerlenker-Vorderachse) wurde natürlich weiter gearbeitet – dennoch musste man einen Trick finden, um das Basismodell für exakt 40.825 Mark anbieten zu können. Der Stein der Weisen liegt nun darin, dass man der (gut ausgestatteten) Basis-Version den Namen Klassik verpasste, und ihr drei Ausstattungspakete zur Seite stellte, die den Wunsch nachserienmäßiger Individualität (so der Pressetext) stärken, und so nebenbei auch die Rechnung etwas erhöhen.

Die Ausstattungsvarianten der Mercedes-Benz C-Klasse

Wir halten deshalb fest und zitieren die Pressemappe: Jugendlich, frech und mit Mut zu Farben, so präsentiert sich die Esprit-Linie. Hier sorgen extravagante Farben und Stoffe für etwas Leben in und am Auto – den einzigen technischen Unterschied betrifft das Fahrwerk, das um 25 Millimeter tiefer gelegt wurde. Die Esprit-Serie ist wahlweise ohne Aufpreis zum Klassik lieferbar.

Wertvoll, vornehm, elegant, so wirkt die Elegance-Linie. Mit diesen Worten beschriebt MB die zweite Ausstattungslinie, die sich mit viel Holz und edlen Stoffen (Leder gegen Aufpreis) an diejenigen wendet, die es gerne etwas edler haben. Mit im Preis von 3.392,50 Mark enthalten sind elektrische Fensterheber, ein Smog-/Umluftschalter mit Staubfilter und ein geschlossenes Ablagefach zwischen den Vordersitzen, das derart hoch geriet, dass der Arm nur mit gesundheitsgefährdenden Verrenkungen zum Schaltknüppel geführt werden kann.

Man sieht es, und beim Fahren spürt man es – so kündigt MB die Sport-Version an, die über ein strafferes Fahrwerk, eine breitere Bereifung und ein Armaturenbrett aus eloxiertem Aluminium verfügt. Für 4.600 Mark Aufpreis gibt es zudem noch Sportsitze und ein Sportlenkrad – und die Grundfarbe ist immer schwarz.

Man sieht, die Marketing-Experten haben sich viel einfallen lassen, um die neue Mercedes-Benz C-Klasse für die nächsten Jahre gut auszurüsten – zu der soliden Grundausstattung, die neben dem ABS, einem Fahrer-Airbag und Sicherheitsfeatures wie beispielsweise einem integrierten Rundumschutz auch viel Sorgfalt bei umweltfreundlichen Produktions- und Entsorgungsmethoden umfasst, gibt es natürlich auch ein umfangreiche Aufpreisliste, mit deren Hilfe man aus einem C-Modell eine wahre Luxuskutsche machen kann. Hier ist vom CD-Player über das Telefon bis hin zur Klimaanlage alles lieferbar – sogar an eine Durchreiche für einen Ski-Sack hat man bei MB gedacht.

Die neue Mercedes-Benz C-Klasse könnte der Rettungsanker für das leicht angeschlagene Unternehmen werden – die Modelle bieten nun den Raum und das Raumgefühl, das in dieser Klasse selbstverständlich sein sollte. Der Wagen spricht optisch an, die Motoren sind auf dem Stand der Dinge – und bei Themen wie Sicherheit und Qualität hat man sich auch außergewöhnlich viel vorgenommen. Dass dies alles (aufpreisbereinigt) zum Preis des Vorgängers bei den Händlern stehen wird, macht die Sache nur noch leichter. 100.000 Fahrzeuge will man noch in diesem Jahr verkaufen – 1994 sollen es dann bereits 240.000 Fahrzeuge der Mercedes-Benz C-Klasse sein.

Bleibt zum Schluss noch die Feststellung, dass man der Limousine natürlich auch bald eine Kombi-Variante und ein Cabriolet nachschieben will – hier sollen die Zeiten vorbei sein, in denen BMW nur dank seiner Modelldiversifizierung Kunden abschleppen konnte. Und die Wahl der Modellbezeichnung „C“ darf man lauf Vorstands-Chef Jürgen Hubbert so interpretieren: „Vielleicht brauchen wir ja noch die beiden Buchstaben A und B vor dem C“. Sagen wir es einmal so: Der Mercedes-Stadtwagen scheint Realität zu werden – auch ohne die Gesetzgebung in den USA.

Dieser Text ist erstmals in der Süddeutschen Zeitung Nr. 111 vom 15. Mai 1993 erschienen.


Fotos Mercedes-Benz AG

Autor: Jürgen Lewandowski

Jürgen Lewandowski schreibt seit mehr als 40 Jahren über Menschen und Autos - und hat mehr als 100 Bücher veröffentlicht. Traumklassiker: Alfa Romeo 8C 2900 Touring Spider und Lancia Rally 037. Eigener Klassiker: Alfa Romeo R.Z. von 1993.

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