Kolumne Zeitsprünge | Lotus Esprit Turbo – Lotus will es wissen

1983 Lotus Esprit Turbo (1)

Mit dem Lotus Esprit Turbo präsentierte die englische Marke einen Rennwagen in Luxusverkleidung. Ein Erfahrungsbericht aus dem Jahr 1986.

Wer den Namen Lotus hört, denkt an den legendären Formel-1-Rennstall, an den Motorsport, an filigrane Konstruktionen, an Colin Chapman, den mittlerweile verstorbenen Gründer dieses britischen Unternehmens.

Man denkt hingegen nur selten an die Straßenwagen, die diesen Namen tragen – während sie in England durchaus zuweilen auf den Straßen zu sehen sind, kann man die in Deutschland zugelassenen Exemplare an einigen Händen abzählen. Typen wie der Esprit oder der Excel sind zwar auf den Autoausstellungen Publikumsmagneten – die jährlichen Zulassungsziffern pendeln jedoch zwischen 20 und 30 Exemplaren dieser Sportwagen, die in der 70.000-Mark-Preisklasse beginnen.

Diesen Zustand zu ändern hat sich die Lotus Sportwagen Import GmbH vorgenommen, die seit einigen Tagen in München ihre Arbeit aufgenommen hat – bis zum Jahresende sollen 30 ausgewählte Händler dafür Sorge tragen, dass jährlich zwischen 100 und 150 Wagen neu zugelassen werden.

Mit dem Lotus Esprit Turbo gegen den schlechten Ruf

Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, sofern es gelingen sollte, den chronisch schlechten Ruf abzubauen, den einige Hinterhofbastler der Marke bislang aufgeprägt hatten – die Wagen selbst, wir hatten einige Tage lang die Möglichkeit, einen Esprit Turbo zu fahren, haben Besseres verdient.

Dafür sorgt nicht zuletzt auch General Motors: Der amerikanische Gigant hat erkannt, dass es heutzutage nur nützlich sein kann, wenn man sich – für das Renommee – eine Edelfirma einverleibt. Und da GM durchaus bereit ist, auch entsprechendes Geld nach England zu pumpen, kann Lotus davon nur profitieren.

Der Esprit Turbo, dessen Karosserie vom italienischen Top-Designer Giugiaro vor nunmehr elf Jahren gezeichnet wurde, zeigt zweierlei: Erstens kann eine Karosserie auch noch nach vielen Jahren keinen Hauch von Patina zeigen, wenn sie so perfekt proportioniert wurde, wie es derzeit wahrscheinlich nur Giugiaro kann. Zweitens kann ein Wagen im Laufe der Jahre nur besser werden. Der Esprit ist mittlerweile ausgereift, da klappert nichts mehr, die Verarbeitung stimmt, die Türen schließen exakt. Im Gegensatz zu dem Esprit, der der SZ im Sommer 1979 kurz zur Verfügung gestellt wurde, gab es auch keine Probleme mit der Elektrik. Man ist durchaus geneigt, britischen Kollegen zu glauben, die einem erzählen, dass die Modelle des Hauses absolut alltagstauglich seien.

Leistung im Überfluss im Lotus Esprit Turbo

Dazu trägt natürlich auch der Reihen-Vierzylinder seinen Teil bei, der als erster Serienmotor der Welt schon seit knapp 15 Jahren über vier Ventile pro Zylinder verfügt. Mittlerweile hat er 2,2 Liter Hubraum und leistet ohne Turbolader 162 PS (119 kW) und mit dem Lader 213 PS (157 kW). Nach dem Anlassen bedarf er einer sorgfältigen Choke-Abstimmung, und die ersten 10, 15 Kilometer will er dann liebevoll warmgefahren werden – aber das ist eigentlich bei einem Triebwerk mit einer Literleistung von 98 PS nur selbstverständlich. Dafür stellt er dann Leistung im Überfluss zur Verfügung: Die 100-km/h-Grenze wird nach knapp sechs Sekunden passiert, und bei Tempo 245 halten sich dann die Luft- und Rollwiderstände mit der Vortriebskraft die Waage.

Dass der Esprit aus einem Haus mit Motorsporterfahrung kommt, beweist auch das Fahrwerk, das die möglichen Kurvengeschwindigkeiten in Bereiche bringt, die vom Normalfahrer niemals erreicht werden. Und auch die Bremsen erreichen Verzögerungswerte, die einem das Gefühl geben in einem Rennwagen zu sitzen.

Dabei ist der Esprit Turbo ein Luxuswagen, der von der Klimaanlage über die HiFi-Komponenten bis hin zur Ganzlederausstattung alles bietet, was der Kunde in dieser Preisklasse von einem Ferrari- oder Porsche-Konkurrenten erwarten kann.

Es soll an dieser Stelle nicht darüber diskutiert werden, ob Sportwagen dieser Art eine Daseinsberechtigung haben – wenn sie vernünftig gefahren werden und ihre Besitzer nicht die GTXX-Turbo-Spoiler-Attitüden an den Tag legen, die das Klima auf unseren Straßen so vergiften, sind sie zweifellos eine attraktive Bereicherung.

Dazu kommt, dass hier schon die Preise ein natürliches Regulativ bilden: Zum Basispreis von 84.900 Mark kommen noch 2.950 Mark für die Klimaanlage, 3.462 Mark für die Ganzlederausstattung und 1.943 Mark für das Glasdach – das sich rasch demontieren und im (recht klein geratenen) Kofferraum verstauen lässt. Damit sollte der Verkauf in unerfahrene Hände eigentlich schon vermieden sein.

Der Lotus Esprit Turbo ist ein luxuriöser Rennwagen, ein sportlicher Luxuswagen, ein Meilenstein des Automobildesigns, ein ernstzunehmender Konkurrent manch italienischer und deutscher Marke.


Dieser Text ist erstmals in der Süddeutschen Zeitung Nr. 163 vom 19./20. Juli 1986 erschienen.


Fotos Erik Fuller / Courtesy of RM Sotheby’s

Autor: Jürgen Lewandowski

Jürgen Lewandowski schreibt seit mehr als 40 Jahren über Menschen und Autos - und hat mehr als 100 Bücher veröffentlicht. Traumklassiker: Alfa Romeo 8C 2900 Touring Spider und Lancia Rally 037. Eigener Klassiker: Alfa Romeo R.Z. von 1993.

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