Kolumne Zeitsprünge | Honda Accord – Alter Name, neues Auto

1990 Honda Accord (1)

Seit Jahren zählt der Honda Accord zu den eher Stillen im Lande – und in den vergangenen 15 Jahren sind drei Accord-Generationen im Angebot gewesen, die weniger – wie die kleineren Jazz- oder Civic-Modellreihen – über ein spektakuläres Design oder besonders sportliche Features an die Kundschaft gebracht wurden. Der Accord lebt von dem Ruf, ein besonders patentes und zuverlässiges Stück japanischer Technologie zu sein, das zudem noch aus einem Hause kam, in dem sich der Fortschritt in Form von etlichen Motorrad- und Formel-1-Weltmeisterschaften manifestiert hatte.

„Die europäischen Käufer verlangen heute im Markt der Mittelklasse-Wagen in einem Maß nach Technik, Komfort und Qualität, das den Fortschritt in den vergangenen Jahren dramatisch vorangetrieben hat“, so die Honda-Entwicklungsingenieure bei den ersten Fahrmöglichkeiten auf dem Versuchsgelände von Tochigi, „und um hier mithalten zu können, musste die vierte Accord-Generation von Grund auf neu entwickelt werden“.

Honda hat sich ja in den vergangenen Jahren durch den intensiven – und erfolgreichen – Einsatz beim Motorsport und durch den Mut, sich mit eigenständigem Design von den anderen Japanern abzusetzen, einen beachtlichen Ruf erworben. So hätte der kleine CR-X durchaus auch als Bertone oder Pininfarina auf den Markt kommen können – und der NS-X, der zu einem Preis von etwa 150.000 Mark von Herbst 1990 an bei einigen ausgewählten Händlern stehen wird, beweist, dass auch die Super-Sportwagen nicht mehr unbedingt aus Italien kommen müssen.

1990 Honda Accord (3)

„Vollendete Harmonie“ beim Honda Accord

Der Accord hat jedoch ein völlig anderes Publikum anzusprechen: Wer sich für eine viertürige Limousine mit 2,0 oder 2,2 l Hubraum interessiert, ist zumeist konservativer, als der Käufer eines kleinen Coupés oder einer Fastback-Variante, die auch die Utensilien für einen Ski- oder Golf-Urlaub aufzunehmen hat. Wenn man sich den neuen Honda Accord betrachtet, sieht man sofort, dass die Designer stets den Ratschlag No Risk im Gedächtnis hatten – kein Risiko bei einem Publikum, das Extravaganzen – angeblich – nicht schätzt. Und so ist der Accord optisch nicht mit den anderen Geschöpfen des Hauses zu vergleichen: zu konservativ, zu brav. Ein Eindruck, den auch etliche der japanischen Designer teilten – auch ihnen hätte durchaus eine einfallsreichere Linie zugesagt. Aber wie steht es in der Pressemappe der harmoniesüchtigen Japaner? „Nachdem man die erfolgreiche Form des alten Honda Accord auf die anderen Fahrzeuge des Hauses übertragen hat, zeichnete sich der neue Accord durch rundere Formen aus, die dem Wagen eine Aura vollendeter Harmonie geben“.

So mag der Honda Accord zwar äußerlich etwas konservativ wirken – unter dem Blech arbeitet jedoch modernste Technologie. So verfügen die vier lieferbaren neu entwickelten Leichtmetallmotoren alle eine Vierventiltechnik, wobei die 16 Ventile über eine obenliegende Nockenwellen gesteuert werden. Es gibt drei 2-Liter-Varianten mit 66 kW (90 PS), 81 kW (110 PS) und 98 kW (133 PS) Leistung, wobei die Varianten 1 und 2 mit Vergasern ausgestattet sind, während die Variante 3 eine elektronisch gesteuerte Einspritzanlage besitzt. Als Spitzenmodell fungiert der Accord 2.2i, dessen 110 kW (150 PS) die 1,3 t schwere Limousine 212 km/h schnell machen. Selbstverständlich werden alle vier Motoren nur mit einem geregelten Dreiwegekatalysator ausgeliefert. Die DIN-Verbrauchswerte liegen zwischen 6,6 l (konstant Tempo 90), 8,4 l (Tempo 120) und 10,9 l (Stadtzyklus) für die 66 kW Basisversion und 6,8 l (Tempo 90), 8,5 l (Tempo 120) und 11,7 l (Stadtzyklus) für das Topmodell mit 110 kW Leistung – was einmal mehr beweist, dass mehr Leistungen nicht unbedingt auch wesentlich mehr Verbrauch bedeuten muss.

1990 Honda Accord (2)

Beachtlich leise geht es im Honda Accord zu

Wie sehr man in Tochigi den Faktor Komfort in alle Details eingebracht hat, beweist auch die Tatsache, dass die neue Motorengeneration mit zwei Ausgleichswellen ausgestattet wurde. Diese beiden Wellen, die mit doppelter Motordrehzahl entgegengesetzt zur Kurbelwelle rotieren, tragen entscheidend dazu bei, die Entstehung von Motorvibrationen zu vermeiden. Und so ist der neue Honda Accord ein Fahrzeug geworden, das in der Tat außergewöhnlich leise und vibrationsfrei über den Versuchskurs rollte. Dazu trägt beispielsweise auch die Honeycomb-Konstruktion des Unterbodens bei, die eine Reduzierung der Abrollgeräusche mit einer erhöhten Steifigkeit der Bodengruppe verbindet.

Für Techniker ist die Steifigkeit der Karosserie seit jeher eines der wichtigsten Entwicklungsziele gewesen, denn das Fahrwerk hat mit jeder Nachgiebigkeit der Karosserie doppelt zu kämpfen – und wo sich die Verwindungsfreudigkeit in Grenzen hält, kann das Fahrwerk doppelt glänzen. Hier haben die Techniker die bereits aus dem Vorgängermodell bekannte Double-Wishbone-Aufhängung mit einer veränderten Achskinematik überarbeitet und der Vorder- und Hinterachse einen Stabilisator hinzugefügt. Das Ergebnis trägt seinen Teil zu dem stetigen Bestreben war Komfort bei: Der Accord lässt die Insassen auch bei schlechtem Untergrund angenehm dahingleiten, er neigt aber auch – und das scheint der Trend bei immer mehr Fahrwerksauslegungen zu sein – bei rascherer Kurvenfahrt zu einem heftigen Untersteuern, dass in dieser ausgeprägten Form nicht unbedingt sein müsste. Grundsätzlich gesehen zeigt der Accord aber ein neutrales Fahrverhalten, das den Fahrer oder die Fahrerin auch in unvorhersehbaren Situationen vor keine Probleme stellen dürfte.

Was den Innenraum betrifft, hat der neue Honda deutlich an Raum gewonnen, denn mit einem um 120 mm verlängerten Radstand lässt sich die Größe der Türöffnungen, das Kabinenvolumen und die Beinfreiheit schon beachtlich steigern. So wächst alleine vor der Rücksitzbank die Beinfreiheit um 46 mm und auch die Kopffreiheit ist mit einem zusätzlichen Zentimeter besser denn je – nun mag ein Zentimeter nicht besonders beeindruckend klingen Techniker wissen aber, dass dies schon ein beachtlicher Wert ist, der – wie eine Sitzprobe bewies – einiges bringt. Man merkt auch an anderen Details, dass man sich in Tochigi viel Mühe gegeben hat: So besitzen die neuen Sitze eine größere Sitztiefe und damit auch eine längere Oberschenkelauflage, die bei Langstreckenfahrten freudig zur Kenntnis genommen werden dürfte. Oder die deutlich gesteigerte Heizungs- und Lüftungskapazität, um annähernd 20 Prozent über der des Vorgängermodells liegt – obwohl das Kabinenvolumen nur um fünf Prozent angewachsen ist. Viel Mühe wurde auch auf die Geräuschisolierung verwandt, was mit einem Wert von nur 65 db (A) bei 100 km/h eindrucksvoll bewiesen wird.

1990 Honda Accord Interieur (4)

Wo bleibt die Allrad-Lenkung?

Eine Frage, die keiner der japanischen Gesprächspartner klar beantworten wollte, war die Tatsache, dass die von Honda propagierte Vierradlenkung in Großbritannien im Spitzenmodell serienmäßig und in Frankreich, Belgien, Holland und der Schweiz gegen Aufpreis zu erwerben ist – in Deutschland jedoch auch nicht mit Geld und guten Worten geliefert wird. Man erklärte zwar, dass dieser Allradlenkung später ins Angebot kommen soll, ließ aber den Termin offen. Warum diese Technologie gerade im High-Tech-Land Deutschland nicht von Anfang an erscheinen soll, konnte (oder wollte) man nicht beantworten – so bleibt die Vermutung, dass man einstweilen den gerade von den Deutschen gestellten kritischen Fragen nach dem Sinn und Zweck dieser Technik aus dem Weg gehen will.

Eine Fahrt mit dem neuen Honda Accord ist wie die Fahrt mit einem guten Freund: Alles erscheint einem vertraut, Überraschungen sind nicht zu befürchten. Der Wagen ist größer geworden, er bietet im Innenraum und auch im Kofferraum mehr Platz. Das Armaturenbrett lässt keine Verwirrungen zu – und auch das Fahrwerk vergibt einem mehr Fehler, als man im normalen Umgang mit einem Auto machen kann. Die Motoren sind leise, sparsam und bieten reichlich Kraft – und der Katalysator ist auch selbstverständlich. Der Accord hat keine gravierenden Schwächen – und dass die Optik etwas konservativ wirkt, wird von den Kunden angeblich gewünscht. Die Honda-Händler können sich freuen, das Geschäft der nächsten Jahre scheint gesichert.


Dieser Text ist erstmals in der Süddeutschen Zeitung Nr. 225 vom 30. September 1989 erschienen.


Fotos Honda Motor Europe Ltd.

Autor: Jürgen Lewandowski

Jürgen Lewandowski schreibt seit mehr als 40 Jahren über Menschen und Autos - und hat mehr als 100 Bücher veröffentlicht. Traumklassiker: Alfa Romeo 8C 2900 Touring Spider und Lancia Rally 037. Eigener Klassiker: Alfa Romeo R.Z. von 1993.

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