Kolumne Zeitsprünge | Citroën BX – Ein Franzose mit Charakter

1990 Citroën BX 16 (6)

Wann immer Citroën einen neuen Autotyp konzipierte, kam etwas Ungewöhnliches dabei heraus. Das war so bei der „Gangster“-Limousine 11 CV, bei der „Göttin“ DS 21 und dem futuristischen Maserati-Sproß SM. So darf man auch bei dem neuen Citroën BX auf Überraschungen gefasst sein.

Obwohl sich der italienische Blechkünstler Nuccio Bertone alle Mühe gegeben hat, von den weichen und fließenden Linien der Citroën-Tradition wegzukommen, ist der BX ein echtes Kind seiner Familie geworden: formal eigenständig und mit jenem ästhetischen Reiz ausgestattet, der Liebhabern dieser Marke den Wechsel zu anderen Firmen so schwer macht. Und trotz der eckigen Linien ist der BX, was die Aerodynamik betrifft, ein „typischer“ Citroën geblieben: Der Cw-, das heißt der Luftwiderstandsbeiwert, von 0.33 spricht für sich.

Und dieser Windschlüpfrigkeit und dem Bemühen um Abspecken (der BX wiegt 900 kg) resultieren natürlich temperamentvolle Fahrleistungen: Je nach Motorisierung läuft der BX zwischen 155 und 175 km/h Höchstgeschwindigkeit. Für den Spurt auf die 100-km/h-Grenze benötigen die drei Versionen 15,6 Sekunden (BX 14, 1,4 Liter Hubraum/62 PS), 13,5 Sekunden (BX 14, 1,4 Liter Hubraum/72 PS) und 11,5 Sekunden (BX 16, 1,6 Liter Hubraum/90 PS).

Der Citroën BX wird europäischer

Man kann flott unterwegs sein im Citroën BX. Zumal die Techniken vom Quai André Citroën 133 in Paris auch endlich einmal beim Fahrwerk an die eher „sportlich“ eingestellten Europäer gedacht haben, die die zwar komfortable, aber schlichtweg zu weiche Federung der früheren Modelle nicht so sehr schätzen. Der Citroën BX liegt straffer auf der Straße; er zeigt nicht mehr die geradezu beängstigenden Kurvenneigungen seiner Vorläufer und vermittelt dadurch mehr Sicherheit. So lassen sich nun auch die spektakulärsten Kurvenkombinationen mit erstaunlich hoher Geschwindigkeit durchfahren, ohne dass beim Beifahrer Bedenken – und Schwindelgefühle aufkommen.

In Optik und Fahrwerk hat sich der Citroën BX mittlerweile also erfreulich der Konkurrenz angenähert, zumindest aber bei der Gestaltung des Armaturenbretts ließ die Entwicklungsabteilung ihrer Individualität genügend Freiraum: Auch dieses Instrumentarium ist wie die Reihe seiner Vorfahren, von bemerkenswerter „Originalität“. So wurden alle Schalter und Hebel in zwei nicht sehr übersichtlichen – und auch nicht blendfreien – „Satelliten“ konzentriert, die links und rechts des einspeichigen Steuerrades montiert sind. Sie lassen sich hier zwar mit den Fingern leicht erreichen, können jedoch auch teilweise – wie zum Beispiel die Hupe – von größer gebauten Menschen unabsichtlich mit dem Knie bedient werden. Und auch beim Blinker hat sich bei Citroën noch immer nicht die vernünftige Ansicht durchgesetzt, dass er von alleine rückstellbar sein sollte. Doch abgesehen von diesem Anachronismus gefällt der Wagen durch bequeme, mit ausreichend Seitenhalt versehene Sitze, durch ein erfreuliches Platzangebot und durch ansprechende Farben – innen wie außen. Erfreulich auch die vernünftige Grundausstattung, die den Citroën BX bereits in seiner Grundversion zu einem attraktiven Automobil macht.

Angenehm auch der geräumige Kofferraum, der durch eine große Heckklappe gut zugänglich ist und der – bei den teureren Ausstattungen – über eine umklappbare Rücksitzlehne verfügt, die das transportierbare Volumen stark vergrößert (von 444 auf 1455 Liter). Ein zusätzlicher Gepäcktransport auf dem Dach ist allerdings nur erschwert möglich, da die Aerodynamiker bewusst auf Regenrinnen verzichtet haben – Dachträger lassen sich nur schwer befestigen.

Manche der älteren Citroën-Modelle haben ja unter einer gewissen Neigung zum Rosten gelitten. So ist es kein Wunder, dass sich Citroën beim Korrosionsschutz besondere Mühe gegeben hat: Es wurden überdurchschnittlich viel Kunststoff – sogar die Motorhaube ist aus diesem Material – und feuerverzinkter Stahl verwendet; eine besonders sorgfältige Behandlung der gesamten Rohkarosserie und eine Hohlraumversiegelung durch Einspritzen eines wachshaltigen Konservierungsmittel sollen – neben etlichen weiteren Maßnahmen – für ein makelloses Äußeres auf lange Sicht sorgen.

Vernunft kehrt ein im Citroën BX

„Die Entwicklung des BX ist das Ergebnis ausführlicher Marketingstudien, auf Grund derer Citroën ein Fahrzeug konzipiert hat, dass ein ausgewogenes Mittelmaß an rein ästhetischen als auch praxisgerechten Aspekten bietet. Der BX hat Persönlichkeit und Originalität – beides nicht zu dick aufgetragen – und genügend Charakter, so das seine Citroën-Abstammung dezent zu Tage tritt“– dieser Auszug aus der Pressemappe zeigt, wie das Haus sein neuestes Modell am liebsten sehen möchte: Schön anzusehen, alltagstauglich, „normaler“ als seine Vorgänger – und trotzdem ein Citroën.

Die Aufgabe scheint gut gelöst: Der BX ist der „vernünftigste“ Citroën seit Jahren – vernünftig deshalb, weil er „europäischer“ geworden ist. Nicht mehr so französisch weich, mit praktischeren Details, mit einer besseren Rostfürsorge. Dennoch hat er, für den Freund des Hauses, noch genügend Attribute seiner gallischen Herkunft: Mit der hydropneumatischen Federung, dem Hochdruckbremssystem, der eigenwilligen (und aerodynamischen) Karosserie, dem verspielten Armaturenbrett.

Ab März stehen die ersten Citroën BX bei den deutschen Händlern – zu Preisen ab rund 15.500 Mark. Wer Mut zum Außergewöhnlichen hat, sollte sie sich einmal anschauen – und Probefahren.

1990 Citroën BX 16 (3)


Dieser Text ist erstmals im März 1983 in der Zeitschrift Vogue Nummer 3/1983 erschienen.


Fotos Citroën Communication / Georges Guyot, Classic Trader

Autor: Jürgen Lewandowski

Jürgen Lewandowski schreibt seit mehr als 40 Jahren über Menschen und Autos - und hat mehr als 100 Bücher veröffentlicht. Traumklassiker: Alfa Romeo 8C 2900 Touring Spider und Lancia Rally 037. Eigener Klassiker: Alfa Romeo R.Z. von 1993.

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