Glas Goggo – Die Einstiegsdroge

1954 Glas Goggo 200 Roller (11)

Mit dem Glas Goggo Roller entstand 1951 in Dingolfing erstmals ein Fahrzeug. 47.000 verkaufte Goggo dokumentieren die erste erfolgreiche deutsche Rollerkonstruktion und waren Wegbereiter für Glas von der Isaria Landmaschinenfabrik zum Automobilhersteller. Wir zeichnen diesen wirtschaftswunderlichen Weg nach.

Als Isaria-Juniorchef Andreas „Anderl“ Glas 1949 zu einer Landwirtschaftsmesse nach Pisa reiste, fielen ihm die neuartigen, kleinrädrigen „Scooter“ genannten Zweiräder auf. Piaggios „Vespa“ und Innocentis „Lambretta“ rollten den Markt auf, obwohl die Unternehmen zuvor branchenfremd waren.

Die Scooter, in Deutschland „Roller“, versprachen Mobilität für breiteste Kreise, denen ein Auto noch viele Jahre lang zu teuer und ein Kleinmotorrad zu schmutzig war. Dass die Roller-Welle auch in die Bunderepublik schwappen würde, war für Glas nur eine Frage steigender Kaufkraft. Ein zweites Standbein für Isaria im Fahrzeugbau wäre bei der schwächelnden Landmaschinenkonjunktur nicht schlecht.

1950 kam der westdeutsche Rollermarkt langsam in Gang. Die Lizenzfertigungen der Vespa bei Hoffmann in Lintorf und der Lambretta bei NSU in Neckarsulm liefen an. Das übrige deutsche Angebot bestand aus schrulligen Basteleien hoffnungsvoller Tüftler. Die etablierten Motorradfirmen befriedigten dagegen zunächst den Nachholbedarf nach fast zehn motorradlosen Jahren. Gute Voraussetzungen für den Newcomer Fuß zu fassen.

Nach einem scharfen Blick auf Konkurrenzprodukte begann Allround-Ingenieur Karl Dompert, ein Kriegskamerad von Andreas Glas, mit der Entwicklung. Er entschied sich aufgrund der vorhandenen Technologie für einen Rohrrahmen, der von einem Blechkleid verhüllt werden würde. Einen eigenen Motor zu entwickeln, schied aufgrund der Eile und der zu erwartenden Investitionen aus. Einbaumotoren von Sachs und ILO standen zur Wahl. Einig wurde man mit ILO in Pinneberg.

Der Weg bis zum Serienbeginn war hart. Den Segen von Senior- Chef Hans Glas gab es zwar, doch gab es nach Unfällen mit Prototypen Rückschläge und neue Produktionstechniken mussten gelernt werden. Im Sommer 1951 war es so weit: Glas stellte den „Volksmotorroller“ namens „Goggo“ vor. Bei der Namensfindung war das rheinische Kindermädchen der Familie Glas behilflich. Sie hatte den jüngsten Sohn von Andreas Glas den Kosenamen „Goggi“ verpaßt, der sich nun als „Goggo“ auf dem Roller wiederfand.

Die Bayrische Roller-Interpretation

Der Goggo unterschied sich von der romanischen Rollerbauweise. Eine feststehende Fronthaube bestimmte das Äußere und verkleidete das Vorderrad samt Federung. Eine verschließbare Doppelsitzbank bot bequeme Sitzmöglichkeiten und schützte Werkzeug, Gepäckfach und den Tankdeckel vor fremden Fingern. Ungewöhnlich war der lange Radstand von mehr als 1.300 mm. Die Fußschaltung ergab sich durch die Motorradherkunft des Triebwerks.

Die glatte „Vollkarosserie“ im dumpfen Look einer umgestülpten Badewanne wollte zweckmäßig sein. Extravaganz war kein gestalterischer Anspruch. Schließlich waren die angepeilten Kunden eher gottesfürchtige Bayern denn römische Grazien.

Die Technik des Glas Goggo war konventionell und robust. Als vordere Federung verbaute man eine Teleskopgabel, während man hinten eine Schwinge mit progressiven Federn einsetzte. Eine Dämpfung entfiel zunächst. Die ersten ausgelieferten Fahrzeuge waren noch mit einem Nasenkolben-Motor bestückt, doch rasch nach Produktionsbeginn im Juli 1951 stellte man auf den MG 125 VF mit Flachkolben und Schnürle-Umkehrspülung um. Das gebläsegekühlte Ilo-Aggregat erfüllte mit 3 Gängen und 4,5 PS den Klassenstandard. In Summe war der Glas Goggo für 1.355 DM inklusive Reserverad ein ehrliches Angebot.

Doch die Kunden mussten sich gedulden, da die Fertigung nur langsam ins Rollen kam. Ganze 735 Roller entstanden 1951. 1952 ging es dann richtig los: Produktion und Vertrieb standen und ab März konnte man auch einen 150 cm³ Ilo-Motor mit 6,5 PS ordern.

Damit hatten die Kunden zwei Pferdestärken und 5 km/h mehr im Gasgriff als die populären Hoffmann Vespa oder NSU Lambretta. Goggo-Besitzer konnten die Konkurrenten in der Spitze um 5 km/h abhängen. Wem das nicht genug Luxus war, konnte für 85 DM Aufpreis ein Luxus-Paket wählen, das unter anderem Gleichstromhupe, Stopplicht und Motorraumbeleuchtung beinhaltete.

Mit dem Glas Goggo entspannt über den Brenner 

Zum Frühjahr 1953 erschien der Favorit im Verkaufsprogramm der Niederbayern. Mit dem „Goggo 200“ wurde die Modellfamilie komplettiert und ein Meilenstein in der Entwicklung des deutschen „Reiserollers“ gesetzt. Glas hatte als erster erkannt, dass die Kundschaft leistungsstarke Motoren im Roller verlangte. Ilo hatte mit dem langhubigen MG 200 V einen passenden Zweitakter im Regal.

Mit 10 PS und 4 Gängen ermöglichte er eine Spitze von 90 km/h und 80 km/h Reisegeschwindigkeit. Dank satten Drehmoments verloren auch Bergfahrten in alpinen Regionen mit Sozia und Gepäck ihren Schrecken. Der Großglockner konnte nun im zweiten statt im ersten Gang erklommen werden. Dies waren Argumente, die zogen und so standen die Käufer 1953 Schlange vor den Glas-Vertragshändlern. Einen Entschluss, den sie selten bereuten. Denn der Glas Goggo konnte gnadenlos gedroschen werden, Fahrwerk und Motor hielten das durch. Mit dem großen Motor kam das ungedämpfte Fahrwerk jedoch an seine Grenzen.

Das erkannten auch die Glas-Konstrukteure und präsentierten zur IFMA 1953 stolz den Goggo 200 in einer neuen Luxusausführung (später als T 54/ TA 54 bezeichnet). Eine geschobene Zweiarmschwinge mit Zugfedern und einem hydraulischen Dämpfer führte nun das Vorderrad. Dazu hatte Glas auch der Hinterradschwinge einen Hydraulik-Dämpfer spendiert. Weitere Verbesserungen: 12 Liter Tank, Batteriezündung, Ferntupfer sowie ein automäßiges Armaturenbrett mit Tacho, Zündschloß, Ladekontrolle, Leerlaufanzeige und gegen Aufpreis sogar eine Zeituhr. Darüber hinaus konnte für 70 DM Aufpreis ein Dynastarter (12 Volt, 90 Watt) von Siba in Plochingen geordert werden.

Die Fahreigenschaften hatten sich deutlich verbessert. Ebenso hatte sich die Gespanneignung durch den elastischen 200er Motor gesteigert. Diese Kompetenz des großen Goggos wurde durch die Spezial-Rollerseitenwagen von Steib, Kali und Royal unterstützt. Glas bot schon ab Werk ein komplettes Gespann mit einem Seitenwagen von Royal an. Eine weitere Marktnische glaubten die Niederbayern bei Kleingewerbetreibenden entdeckt zu haben. Mit dem Goggo- Lastenroller wollte Glas — den Erfolg der Dreiräder von Piaggio und Innocenti in Italien vor Augen — auch bundesdeutsche Gewebetreibende mobil machen. 250 kg Nutzlast und verschiedene Aufbauten standen zur Verfügung.

Der 200er Ilo-Motor wurde generell elektrisch gestartet. Der Kraftfluss erfolgte von drei Vorwärtsgängen- und einem Rückwärtsgang über eine Kardanwelle an ein Differential, das den Vortrieb auf die hinteren Räder verteilte. 50 km/h Höchstgeschwindigkeit waren drin und der Preis war mit 2.315 DM scharf kalkuliert. Doch der deutsche Bäcker oder Gemüsehändler stotterte lieber sein Tempo- oder Goliath-Dreirad ab und so wurden lediglich 486 „Laros“ gebaut.

Sonst lief der Absatz wie geschmiert. Glas erreichte 1953 mit 10.668 Rollern hinter NSU und Hoffmann den dritten Platz in der deutschen Roller-Zulassungsstatistik. Bemerkenswert ist auch, dass sich innerhalb kürzester Zeit über 80 Glas Goggo-Clubs in ganz West-Deutschland gründeten, die ein reges Clubleben anboten und sich an Zuverlässigkeitsfahrten beteiligten.

Eine Besonderheit war der Verkauf in den USA, wo Zündapp-Importeur Joe Berliner versuchte, den Lastenroller unter seiner Eigenmarke „JoeBe“ (auch mit Schreibweise Joe-Be) mit speziellen Aufbauten als Eiswagen und Golfkarren als „Scootertruck“ zu veräußern. Dabei hatte man die Vorderradhaube einfach gestutzt und in der Art eines Harley-Davidson „Servi-Cars“ mit einer Kupplungsvorrichtung zum Anhängen an ein Auto versehen.

Die Verkaufszahlen blieben 1954 gut, doch Glas verlor zunehmend Marktanteile. Die Konkurrenz war aufgewacht und bot bessere Fahrwerke mit 10- oder 12 Zoll-Rädern. Neben der klassischen Printwerbung entwickelte Glas besondere Marketingaktivitäten: Die 11 kickenden „Helden von Bern“ samt Bundestrainer Sepp Herberger wurden im Juli 1954 nach Dingolfing eingeladen und bekamen je einen Luxus-Goggo geschenkt, den Fritz Walter vor Ort gegen einen Lastenroller eintauschte.

Die Glas-Entwickler schliefen nicht und stellten im August 1954 das Luxusmodell des Modelljahres 1955 vor. Der TA 55 wurde ab Herbst 1954 ausgeliefert. Äußerlich fielen die 10 Zoll Räder und die elegantere Optik auf.

Doch im Höhepunkt des Rollerbooms sank bei Glas 1955 die Rollerproduktion rapide. Den Dingolfingern bereitete dieses Problem jedoch nicht lange Kopfschmerzen. Schließlich hatten sie wieder schneller als die Konkurrenz auf ein neues Pferd gesetzt und schon im Spätsommer 1954 das Goggomobil vorgestellt. Die freien Kapazitäten in der Rollerfertigung konnten durch die rasant steigende Nachfrage für das Mobil mehr als ausgeglichen werden.

Seit Mitte 1956 stand das Rollerfertigungsband und es wurde nur noch von der Halde abverkauft. Aufgrund fester Bestellungen wurde 1957 die Fertigung kurzfristig erneut aufgenommen. Aus Restbeständen fertigte man knapp 400 Goggo 200, die mit einem „T 57“ Schriftzug und dem größeren Tacho aus dem Goggomobil versehen wurden.

Nach rund 47.000 Stück war dann endgültig Schluss und Glas setzte seine Erfolgsstory auf vier Rädern bis Mitte der 60er Jahre fort. Was blieb war die Erinnerung an den Urvater der deutschen Reiseroller…


Technische Daten

Glas Goggo Roller T 54

Motor
Gebläsegekühlter Einzylinder-Zweitakt-Ilo-Motor,
Graugusszylinder, Leichtmetallzylinderkopf, Bohrung
62, Hub 66 mm, 9, 5 bei 4.900/min, Bing-
Vergaser 26 mm Durchmesser

Kraftübertragung
Mehrscheiben-Korklamellen-Kupplung im Ölbad, Vierganggetriebe, Sekundärantrieb über gekapselte Rollenkette Gewicht trocken 125 kg, Verbrauch real 3 bis 4 l Gemisch auf 100/km, v-max ca. 90 km/h


Text und Fotos Andy Schwietzer

Autor: PS.SPEICHER

Der PS.SPEICHER ist Europas größtes Oldtimer-Museum. 2.500 historische Fahrzeuge an fünf Standorten in Einbeck warten auf Ihre Entdeckung. Von der interaktiv und spielerisch inszenierten Zeitreise durch die Mobilität bis zu zu Spezial-Ausstellungen für Motorräder, Automobile und Nutzfahrzeuge.

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