Formen und Farben der 70er – Von Exoten und neuer Sachlichkeit

Vor etwa 50 Jahren sorgten die Formen und Farben der 70er für ein schrilles, buntes Jahrzehnt. Musik, Mode, Kunst und Kultur – in nahezu allen Gebieten gesellschaftlichen Lebens wird der Mief vorheriger Epochen ordentlich durchgepustet. Auch im Automobilsektor macht der Stilwechsel nicht Halt: neue Typen, Farben und Formen prägen eine Ära.

Ende der 60er-Jahre wird das Farbfernsehen in Deutschland und vielen weiteren Ländern eingeführt. Zeit für Disco-Stars und Glamrocker, die bunten Kostüme auszupacken und sie in voller Farbenpracht zu präsentieren. Schlussendlich färbt im wahrsten Wortsinne die modische Kreativität von ABBA, Elton John und den Bee Gees auch auf den Autogeschmack ab.

Während es heute nicht gedeckt und sachlich genug im Automobilsektor in Schwarz, Anthrazit und Dunkelblau vorgehen kann, glänzen die Farben der 70er noch in den schrillsten Tönen – und die Kunden greifen dabei gerne zu. Wie wäre es mit einem Porsche 911 oder 914 in Signalorange, Hellgelb oder Daphnegrün, Farbcodes 2310, 117 / 6210 und 260? Eine Mercedes-Benz S-Klasse W 116 in Mimosengelb 618, Mangogrün 875 oder Silberdistel 881 würde heute vermutlich wie Blei in den Niederlassungen stehen. Oder man nehme den VW Käfer, Inbegriff Bundesdeutscher Solidität, der nun auch in den Lackierungen Miamiblau L51C, Rallyegelb L10A oder Baligrün L62A verfügbar ist.

Aber wie es schon biblisch heißt: „Alles hat seine Zeit“. Und so kamen und verblassten die Farben der 70er über die Jahrzehnte. Spätere Generationen waren für andere Lackierungen zu begeistern. Wenn man sich aber heute auf Oldtimer-Veranstaltungen oder Messen umschaut, sieht man, mit welcher Freude die Eigentümer die Preziosen im Originalton belassen und so für Farbtupfer im eintönigen Straßenbild sorgen.

Formen und Farben der 70er – Große Kunst mit den Art Cars

Aber nicht nur bei den Serienfahrzeugen spielen Farben eine Rolle, auch an der Motorsport-Spitze sorgt das Art Car-Projekt von BMW für Schlagzeilen. Wie Jochen Neerpasch, damals Motorsportchef von BMW, berichtet, trat Jean Todt mit der Information an ihn heran, dass der französische Auktionator und Hobby-Rennfahrer Hervé Poulain bei Renault angefragt hatte, ob ein Künstler einen Rennwagen gestalten könne. Der einzige Haken an der Sache war, dass im Gegenzug Poulain in diesem Fahrzeug das Rennen bestreiten wollte.

BMW war zu dieser Zeit mit dem 3.0 CSL in der Tourenwagenklasse am Start, zwar nicht unerfolgreich, aber die großen sportlichen Schlagzeilen der Gesamtwertung gehörten anderen. Spätestens als Hervé Poulain Jochen Neerpasch verrät, dass der US-Amerikanische Künstler Alexander Calder das Auto gestalten sollte, kamen die beiden überein, dass sie es probieren sollten.

Und so ging in Le Mans 1975 der von Alexander Calder gestaltete 3.0 CSL an den Start. Wie Neerpasch freimütig zugibt, „war da nicht mehr das sportliche Ergebnis wichtig, sondern ein Kunst-Happening zu veranstalten beim wichtigsten Langstreckenrennen der Welt. Und das hat funktioniert, das Auto wurde im Louvre vorgestellt, und an der Rennstrecke hatten wir sowohl die Pariser Gesellschaft, die Intellektuellen sowie die Techniker. Eine fantastische Sache“.

Nachdem das Project Art Car so erfolgreich einschlug, folgte ein Jahr später der von Frank Stella gestaltete 3.0 CSL, 1977 zeichnete sich wiederum Roy Lichtenstein für einen BMW 320i Turbo (E21) verantwortlich. Wenn man so will setzte Andy Warhol dem ganzen 1979 die Krone auf, indem er dem M1 einen neuen, fließenden Anstrich in allen Farben der 70er verpasste. Für Neerpasch war aber nicht allein die PR-Wirkung dieses Projekts entscheidend: „Die Künstler haben sich mit der Aufgabenstellung, das Renngeschehen darzustellen, auseinandergesetzt. Andy Warhol war begeistert von diesem Projekt“. Wie engagiert alle bei der Sache waren, ließ sich unter anderem daran ablesen, dass sie keine Gage für ihre Werke verlangten.

Formen und Farben der 70er – Keil ist Trumpf

Die 70er waren aber nicht nur ein Jahrzehnt der schrillen Farben, sondern auch der neuen Formen. Die kantige Keilform zum Beispiel wurde nicht nur beim BMW M1 umgesetzt, sondern auch bei anderen Fahrzeugen für die sportliche Spitze, aber auch die breite Masse. Mit am konsequentesten gedacht und gelebt wurde diese Idee in zwei italienischen Designbüros, Italdesign und Bertone. Bei Letzteren fällt einem der Maserati Khamsin oder der Lamborghini Countach ein, vor allem aber der Lancia Stratos. Für die Rallye-Homologation in der Gruppe 4 baute man bei Bertone den kompakten Sportler. Kurzer Radstand, flache Karosserie, die Hinterräder vom quer eingebauten V6-Mittelmotor angetrieben war der Stratos sportlich und geschmacklich ein gewagtes Experiment.

Auf den Rallyepisten der Welt überrumpelte der kleine, agile Stratos die Konkurrenz. Gerade auf den winkligen Kursen in Monte Carlo und Korsika flog der Keil durch die engen Serpentinen und bescherte Lancia Rennsporterfolge. Die Absätze der Straßenversion waren allerdings sehr mäßig. Der Fokus von Lancia lag auf sportlichen Siegen, daher konnten sie es verschmerzen, dass die Verkäufe nicht in Fahrt kamen. Die letzten Exemplare sollen seinerzeit nahezu verramscht worden sein. Angesichts heutiger Preise von teilweise weit über 300.000 EUR kaum nachzuvollziehen.

Eigentlich verbietet es sich, Lancia Stratos und FIAT X1/9 in einem Atemzug zu nennen. Aber dass beide aus dem Hause Bertone stammen, lässt sich von Form und Inhalt her nicht leugnen. Auf Basis der FIAT 128-Familie kam das kompakte Coupé mit Targadach 1972 auf den Markt. Mit seinen 1,3 oder 1,5 Liter-Mittelmotoren war das Auto seinerzeit durchaus sportlich zu bewegen. Ein reinrassiger Sportler war der X1/9 seinerzeit nicht, aber eine durchaus erschwingliche Alternative.

Neue Sachlichkeit nach der Ölkrise

Bei Italdesign zeigten sich ebenfalls die Extreme, wie beim M1 oder wenig später in den 80ern mit dem DeLorean DMC-12, aber auch die Auswirkungen eines anderen einschneidenden Erlebnisses der 70er, der ersten Ölkrise. Das Streben nach immer stärkeren, größeren und durstigeren Motoren wurde jäh gestoppt und jeder Hersteller musste sich auf die neuen Anforderungen der Käuferschaft einstellen.

Eine neue Bescheidenheit, Sparsamkeit und Sachlichkeit hielt Einzug in den Automobilbau. So entwarf Bertone für Maserati den Merak. Äußerlich eng verwandt mit dem Bora, aber unter der Haube verrichtete kein V8-Motor seinen Dienst, zwei Zylinder weniger sollten Sportlichkeit mit etwas mehr Vernunft ermöglichen. Viele bewährte eigene Komponenten und viele aus dem Regal des damaligen Eigentümers Citroën ermöglichten eine recht kostengünstige Entwicklung.

Formen und Farben der 70er Maserati Merak Nuovo Giallo Fly (1)

Der Merak blieb aber ein Sportwagen für eine überschaubare Klientel, Bertone zeichnete sich aber auch für eine neue Generation von sachlichen Autos für die Masse verantwortlich. So entwarf der Designer mit dem Golf I 1974 ein Auto, das Volkswagen aus der Krise führte, die Klasse der Kompakt wagen etablierte und ein Fahrzeug auf den Markt brachte, das bis heute in der achten Generation gebaut wird.

Nachhaltiger Erfolg birgt auch immer die Gefahr, nicht rechtzeitig die Zeichen der Zeit und die Notwendigkeit von Veränderungen zu erkennen. Der Käfer lief und lief und lief, traditionsbewusste Köpfe im VW-Vorstand dachten wohl auch, dass der luftgekühlte Boxermotor im klassischen Käfer-Kleid ewig laufen sollte. Bei den Bestellungen in den VW-Autohäusern zeichnete sich aber zunehmend ab, dass es eine moderne Alternative für die nächsten Jahrzehnte brauchte, um Volkswagen in eine erfolgreiche Zukunft zu führen.

Andere europäische Hersteller hatten bereits mit gewissem Erfolg frontgetriebene Kompaktwagen auf den Markt gebracht, 1974 war schließlich auch VW so weit. Klare Formen, sparsame Motoren und eine vielseitige Alltagstauglichkeit machten den Golf I vom Fleck weg zum Erfolg. Ob als Benziner oder Diesel, als sportlicher GTI, als bis 1993 gebautes Cabriolet oder ab 1979 in der Stufenheckvariante VW Jetta; das Konzept, das Volkswagen unter Mithilfe von Giorgio Giugiaro mit dem Golf auf die Straße brachte, war die nächste nachhaltige Erfolgsgeschichte.

Und sorgte nebenbei dafür, dass nicht nur die Farben der 70er und die extravaganten Exoten in Erinnerung bleiben, sondern auch die Türe aufgeschlossen wurde für sachliche, alltagstaugliche Fahrzeuge für die breite Masse.

 

Fotos BMW AG, Daimler AG, Fiat Chrysler Automobiles n.V., Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG

Autor: Paolo Ollig

Paolo Ollig schreibt als Chefredakteur regelmäßig über alle Raritäten und Meilensteine der Automobil- und Motorrad-Geschichte. Traum-Klassiker: Lamborghini Countach und Mercedes-Benz 300 SL. Eigener Klassiker: Mercedes-Benz 230 CE (W123) von 1981.

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