Englische Limousinen – A Taste of Wood and Leather

Englische Limousinen Jaguar XJ (2)

Wer an englische Limousinen denkt, hat zuerst einmal schwere Holzfurniere, geschmeidige Lederausstattungen und klassische Karosserieformen im Auge: Ein Bild, zu dem natürlich die Luxus-Gefährte der Häuser Rolls-Royce und Bentley entscheidend ihren Teil beigetragen haben, während Jaguar dieser Mischung noch etwas Sportlichkeit und einen der schönsten Reihen-Sechszylinder sowie den ersten großen Stückzahlen gefertigten Zwölfzylinder der Automobilgeschichte hinzufügte. Doch wir sollten über diese Marken nicht Exoten wie den exotischen Aston-Martin Lagonda, den lange als Staats-Kalesche genutzten Daimler DS 420 oder die wunderbaren, leider nahezu vergessenen Modelle des Hauses Armstrong-Siddeley unterschlagen, die ebenfalls ihren Teil zum Mythos britischer Fahrzeuge beitrugen.

Englische Limousinen – Rolls-Royce und Bentley

Doch über allem thronen die großen Drei: Rolls-Royce, Bentley und Jaguar. Wobei – die Kenner wissen das natürlich – die Häuser Rolls-Royce und Bentley vom 20. November 1931 bis 1998 unter einem Dach vereint waren. Eine Konstellation, die letztlich dazu führte, dass sich etliche Modelle lediglich durch die unterschiedlichen Kühlergrille voneinander unterschieden – das gilt zwar nicht für die Vorkriegsmodelle, wo Rolls-Royce beim Phantom III mit einem 7,3-Liter-Zwölfzylinder punktete, der nicht an Bentley weitergegeben wurde. Und nach dem Krieg sorgte dann der nur als Rolls-Royce lieferbare Silver Wraith von 1946 bis 1959 für die standesgemäße Beförderung seiner zahlungskräftigen Kunden. Natürlich gab es keine Serien-Karosserien ab Werk – Rolls-Royce besprach mit seinen Kunden, welche der besten Karosseriefirmen wie James Young, H.J. Mulliner, Park Wark, Hooper oder Freestone & Webb die Wünsche am besten erfüllen konnten.

Für den Vortrieb sorgte ein Reihen-Sechszylinder mit 4.257 cm³ Hubraum und etwa 120 bis 125 PS – das Werk selbst gab ja nie die korrekten PS-Zahlen an. Diese PS hatten es mit – je nach Karosserie – mit 2,3 bis 2,7 Tonnen Leergewicht zu tun, kein Wunder, dass die Luxus-Geschöpfe stets zum Dahingleiten genutzt wurden. Im Laufe der diversen Modellpflegen wuchs der Hubraum dann auf 4.887 cm³ und der zuerst verbaute einzelne Zenith-Vergaser wurde dann Ende 1954 durch zwei SU-Vergaser ersetzt, die zwei Jahre später größeren Exemplaren weichen mussten. Und natürlich war auch bereits von 1952 an eine General Motors Viergang-Hydramatic auf Wunsch lieferbar.

Der Preis dafür variierte dramatisch – je nach Modell und Ausstattung kamen zu den £ 2.195 für das Rolling Chassis gerne 2.000 bis 3.000 £ dazu, was dem Preis eines gepflegten Hauses in London entsprach.

Parallel dazu hatte der Konzern 1946 den Bentley Mk VI als „Einstiegsmodell“ präsentiert – wenn man bei einem Basispreis von £ 2.595 überhaupt das Wort „Preisgünstig“ benutzen darf. Der günstigere Preis ergab sich hauptsächlich aus der Tatsache, dass hier der Sechszylinder mit seinen 132 PS mit einer Stahl-Karosserie geliefert wurde, die auch bei dem Nachfolge-Modell R-Type und dem 1949 präsentierten Rolls-Royce Silver Dawn zum Einsatz kam – dem ersten Rolls-Royce mit „serienmäßigen“ Stahl-Karosserie, der auch – um die britischen Kunden nicht zu verschrecken? – in den ersten Jahren nur (hauptsächlich in die USA) exportiert wurde. Cabriolets gab es nur auf Sonderwunsch.

Englische Limousinen – Armstrong-Siddeley

Mit diesen beiden Angeboten hatten Rolls-Royce und Bentley zwei Top-Baureihen im Angebot, die den Ruf des Hauses bestens mehrten – doch es gab auch Konkurrenten: Armstrong-Siddeley war von 1946 bis 1953 mit dem Hurricane vertreten, der – trotz seines stürmischen Namens – nur mit 75 PS unterwegs war. Später folgte der Sapphire, der von 1953 bis 1960 mit einem 3,4-Liter-Sechszylinder und 120 PS Leistung angeboten wurde. Wer es sportlicher wollte, orderte für £ 25 Aufpreis die Version mit zwei Stromberg-Vergasern, die 150 PS bereitstellte.

Englische Limousinen – Jaguar

Doch mittlerweile war Armstrong-Siddeley mit der Marke Jaguar ein Konkurrent entstanden, der mit seinem Design, dem wunderbaren, erstmals im XK 120 angebotenen, Sechszylinder mit zwei obenliegenden Nockenwellen und einem sportlich abgestimmten Fahrwerk zu der britischen Limousine der 50er und 60er Jahre geriet: Jaguar hatte seit der Präsentation des eher formalen Mk. VII im Jahr 1950 auch über eine sportlichere und kompakte Limousine nachgedacht, die eine jüngere Käuferklientel ansprechen sollte. Zwar wurde die im Laufe der Jahre zum Mk. IX weiterentwickelte Limousine bis 1961 weitergebaut, doch zum Modelljahr 1956 stand ein nur 459 cm langer und 170 cm breiter bildschöner Viertürer parat, bei dem ein auf 2,4 l Hubraum verkleinerter XK-Motor mit 112 PS arbeitete. Ein Jahr später konnte auch der 3,4-Liter-Motor mit 210 PS geliefert werden.

Zur Legende mutierte die elegante Limousine dann 1959, als die überarbeitete Variante als Mk. 2 vorgestellt wurde – einen Mk. 1 gab es übrigens nie offiziell. Optisch mit größeren Fenstern, verchromten Türrahmen, einer verbreiterten hinteren Spur und einem neuen Interieur weiter perfektioniert, setzte der Mk. 2 die Erfolgsgeschichte weiter fort, wozu auch der nun lieferbare 3,8-Liter-XK-Motor mit 220 PS beitrug. Die damals schnellste Limousine der Welt erhielt auch 1962 noch den kleinen 2,5-Liter-V8-Motor von Daimler hinzu – auch er verkaufte sich blendend.

Doch damit nicht genug – zwar hatte Jaguar mit der Einführung der Mk-Baureihe den Wunsch nach einer sportlichen Limousine befriedigt – aber es gab auch noch Kunden, die ein große, luxuriöse englische Limousinen besitzen wollten. Für diese Klientel stellte William Lyons im Herbst 1961 das neue Flaggschiff unter der Bezeichnung Mk. X vor, doch der Nachfolger des Mk. IX war keine Evolution, sondern ein völlig neues Modell, bei dem unter der Motorhaube der 3,8-Liter-Sechszylinder des E-Type montiert wurde. Parallel zum E-Type erhielt der Mk. X auch 1964 das auf 4,2 Liter aufgebohrte E-Type-Triebwerk mit etwas mehr Drehmoment.

Bei der Form hatte Sir William Lyons einmal mehr persönlich eingegriffen und eine sehr große, sehr breite und flache Form gefunden, mit der er vor allem den amerikanischen Markt überzeugen wollte. Doch der Mk. X war nicht der erwartete Erfolg – er war zu Amerikanisch geraten, dazu sorgten die Ausmaße auf den engen britischen Straßen für Probleme. 1966 wurde der Mk. X überarbeitet und stand nun als 420 G bei den Händlern – nachdem Jaguar 1968 den Nachfolger XJ vorstellte, liefen die Stückzahlen des 420 G bis zur Produktionseinstellung 1970 langsam aus.

Ende der 60er Jahre hatte Jaguar nicht weniger als drei Limousinen-Baureihen: Da war der sportliche Mk. 2, das Top-Modell Mk. X und dazwischen hatte Sir William Lyons noch die S-Baureihe gesetzt – und von allen Baureihen gab es noch etliche Motor- und Jaguar- sowie Daimler-Varianten. Jaguar musste aufräumen und setzte auf eine Ein-Modell-Politik – eine riskante Entscheidung, doch der 1968 präsentierte XJ sollte für die nächsten 25 Jahre für brillante Verkäufe sorgen und zum Paradebeispiel für englische Limousinen werden. Dabei lieferte die XJ-Baureihe unter der eleganten Karosserie nur wenig Neuigkeiten: Die vordere Radaufhängung war überarbeitet – für den Vortrieb sorgte der dem 420 G entliehene 4,2-Liter-Sechszylinder, dem – für Länder mit Hubraumbesteuerung – eine 2,8-Liter-Variante zur Seite gestellt wurde. Getriebe und Hinterachse stammten ebenfalls vom 420 G.

Doch Lyons hatte einmal mehr eine bestechend schöne Karosserie mit den typischen Doppelscheinwerfern und einem eckigen, stark verchromten Kühlergrill sowie einem kantigen Heck zeichnen lassen, die in ihrer Grundform nicht weniger als 25 Jahre Bestand haben sollte. Kein Wunder, dass sich von der ersten Serie 98.527 Fahrzeuge verkaufen ließen. Erfolgreicher war dann die Serie 2 mit 127.961 Exemplaren, während die weiter überarbeitete Serie 3 zwischen 1979 und 1992 sogar 187.505 Käufer fand.

Und mit dem XJ 12 präsentierte Jaguar dann 1972 noch ein weiteres Erfolgsmodell, das mit 253 PS und 410 Nm Drehmoment die Kunden begeisterte – nun gab es bis 1992 eine V12-Limousine mit kurzem und mit langem Radstand; als Jaguar und mit Luxus-Ausstattungs-Varianten als Daimler und als Vanden Plas.

Englische Limousinen – Aston-Martin

Mit mehr als 80.000 verkauften Exemplaren war der XJ 12 ein großer Erfolg für das Image der Marke – und für die Erlöse. Während von dem betont sportlichen Aston Martin Lagonda zwischen 1961 und 1964 nur 55 Exemplare verkauft wurden, setzte Bentley 1982 alles auf eine Karte und montierte an den bewährten 6,3-Liter-Achtzylinder einen Garrett-Turbolader, der dem Mulsanne zu „50 Prozent mehr Leistung“ – so PR-Sprecher Georges Keller – und einer Beschleunigung von 7 Sekunden von Null auf 100 km/h verhalf. Es dürften etwa 320 PS gewesen sein, die in den nächsten drei Jahren mit 516 verkauften Exemplare nicht nur viel Geld in der Kasse spülten, sondern auch für einen bemerkenswerten Image-Gewinn der Marke Bentley sorgten. Waren bis dahin nur noch fünf Prozent der Modelle aus Crewe als Bentley ausgeliefert worden, so stieg der Anteil nun auf deutlich mehr als 50 Prozent, womit der baugleiche Rolls-Royce Silver Spirit (ohne Turbolader) in die Defensive geriet.

Jetzt war Bentley „In“, die temperamentvolle Limousine wurde zum Bestseller, der bis 1997 im Programm blieb – von 1995 an als Turbo R mit 360 PS und als Turbo S sogar mit 408 PS und 800 Nm Drehmoment, die die 2,5 Tonnen wiegende Limousine in 6,1 Sekunden auf Tempo 100 und (limitierte) 250 km/h katapultierten. Über die dabei anfallenden Benzinverbrauchswerte reden wir besser nicht.

Mit dem Mulsanne Turbo und dem 1991 präsentierten Continental R-Coupé eroberte Bentley ein völlig neues Publikum für englische Limousinen, das britische Klassik mit adäquater Leistung besitzen wollte. Eine Entwicklung, die Rolls-Royce erst ab 2003 nach der Trennung von Bentley und nun im Besitz von BMW mit einer neuen Modell-Palette erfolgreich nachvollziehen konnte.


Fotos Gudrun Muschalla / Jaguar Land Rover Ltd., Tom Wood / Courtesy of RM Sotheby’s, Bonhams| Cars Online

Autor: Jürgen Lewandowski

Jürgen Lewandowski schreibt seit mehr als 40 Jahren über Menschen und Autos - und hat mehr als 100 Bücher veröffentlicht. Traumklassiker: Alfa Romeo 8C 2900 Touring Spider und Lancia Rally 037. Eigener Klassiker: Alfa Romeo R.Z. von 1993.

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