Ducati 916 – Das Super-Super-Superbike
Wenn der 911 als herausragende Porsche-Ikone und als Flaggschiff einer deutschen Mobilitätsidentität verstanden werden kann, dann ist die Ducati 916 die italienische Entsprechung eines genauso großartigen Meisterwerks. War die Zahlenfolge 9-1-6 für die Motorradwelt bis zur Präsentation im November 1993 nur eine zufällige Kombination, wurde daraus quasi über Nacht das Synonym für mechanische Perfektion und Sex-Appeal auf zwei Rädern. Ab dem Verkaufsstart im Frühjahr 1994 sollte nichts mehr sein wie es war.
Die rote Primadonna aus Bologna sorgte für handfeste Reizüberflutung. Ihr Kleid aus Kunststoff war schwungvoll und modern. In zwei Minuten hatte man die attraktive Hülle dank Schnellverschlüssen entfernt – ein Porno für jeden Rennmechaniker. Darunter verbarg sich ein moderner V2 mit elektronischer Einspritzung und typischer Desmodromik, dem Massimo Bordi 109 PS bei 9000 U/min einhauchte. Das war nicht der Zenit damaliger Superbikes, doch die Ducati 916 hatte noch weitere Vorzüge: Ihre schlanke Figur, einen insektoiden Doppelscheinwerfer, das aufreizende Heck mit Underseat-Auspuff, variable Geometrie, eine Einarmschwinge, Ram-Air, einen Lenkungsdämpfer… Ihr Talent bestand aus so vielen Facetten, dass eigentlich ein Einziges davon genügt hätte, um sie unsterblich zu machen. Die Designikone mit unerschütterlicher Stabilität fuhr mit diesen Anlagen auch wie eine Göttin.
DeR Weg zur Ducati 916
Doch die 916 trat kein leichtes Erbe an. Ducati 851 und 888 hatten als betörende Rennmaschinen mit bulligem Sound so manchen Rundenrekord in der Superbike-WM pulverisiert, galten visuell aber nicht als letzter Schrei. Zu nah orientierte sich ihr Design an den Konventionen der späten 80er, die vor allem von Japan vorgegeben wurden. Die Legende Massimo Tamburini, der im Centro Ricerche Cagiva (CRC) viele Freiheiten genoss, schuf mit der unfassbar schönen 916 ein legitimes, weil völlig eigenständiges Jahrhundertmotorrad – das sich klar vom Status Quo löste. Konventionell war gestern!
Die 916 ist auch heute noch ein höchst innovatives und dabei extrem sinnliches Motorrad, das mit seinen unzähligen Ablegern und Ahnen ein ganzes Jahrzehnt dominierte. Als Archetyp des sportlichen Superbikes für das bereits in der Tür stehende, neue Millennium war sie als Straßenmotorrad äußerst erfolgreich – und auf der Rennstrecke eine Macht. Zwischen 1994 und 2002 gingen alle Konstrukteurs-Titel der Superbike-WM an die pfeilschnelle Duc. Troy Corser und Carl Fogarty feierten ihre größten Siege in rauschendem Rot.
Die Ducati 916 als Future Classic
All das macht die Ducati 916 zum Sinnbild der bereits von Leonardo da Vinci gefeierten Einheit aus Technik und Design. Trotz ihres Mangels an Komfort ist sie deshalb ein zunehmend gesuchter Meilenstein der Motorradgeschichte, der die preisliche Talsohle bereits mit Vollgas durcheilt hat. Wer ein echtes Superbike mit reichlich Charakter sucht, sollte möglichst bald zuschlagen. Die Zeit der 916 als Future Classic ist längst gekommen.
Text und Fotos Sven Wedemeyer
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