Daimler Reitwagen – Der Wegbereiter

Wenn man ein großes Ziel erreicht, rückt der Weg dorthin manchmal in den Hintergrund. So wie das erste Automobil – zu Recht wohlgemerkt – hohe Welle schlägt, stehen die Schritte bis zur Ziellinie etwas im Schatten, so wie der Daimler Reitwagen.

Ende des 19. Jahrhunderts arbeiten zwei Männer in Süddeutschland an der gleichen Idee: ein Fahrzeug zu erfinden, dass sich unabhängig von Pferdekraft vorwärts bewegt. Gottlieb Daimler in Cannstatt und Carl Benz in Mannheim, die Gründerväter der heutigen Daimler AG, trennen zwar nur 120 Kilometer, in dieser Epoche war das mindestens eine Tagesreise. So tüfteln beide in ihren Werkstätten, vermutlich ohne einander je kennengelernt zu haben, und erreichen dennoch beinahe zeitgleich das Ziel.

Daimler Reitwagen – Der lange Weg aus der Versuchswerkstatt

Ab 1883 betrieb Gottlieb Daimler im Garten seiner Villa in der Taubenheimstraße in Cannstatt seine Versuchswerkstatt. Im erweiterten Gewächshaus arbeitete er gemeinsam mit Wilhelm Maybach an einem schnelllaufenden Verbrennungsmotor. Mit den Patenten DRP 28022 vom 16. Dezember 1883 und DRP 28243 vom 22. Dezember 1883 erreichten die beiden ihr (Zwischen-)Ziel und sicherten somit ihren gesteuerten Gasmotor mit Glührohrzündung. Der erste Einzylinder-Viertaktmotor hatte einen Hubraum von 462 ccm und erzeugte etwa eine Pferdestärke bei 600 Umdrehungen pro Minute. Da der Motor sich lieber früher als später in einem Fahrzeug wiederfinden sollte, gab sich Daimler nicht mit dem Erreichten zufrieden, sondern widmete sich der Gewichtsreduktion. Als Patent DRP 34926 wurde am 3. April 1885 eine abgespeckte Version des „Standuhr“ genannten Motors geschützt. Der Hubraum sank auf 264 cmm, ebenso wurde die Leistung auf eine halbe Pferdestärke bei 700 Touren reduziert. Entscheidender aber für den weiteren Verlauf war, dass der Motor nun kompakter und mit circa 60 Kilogramm deutlich leichter war.

Die eine Voraussetzung, das Pferd durch einen autonomen Verbrennungsmotor zu ersetzen, war somit erfüllt und Gottlieb Daimler machte sich daran, den Antrieb in ein Fahrzeug zu transplantieren. Der Einfachheit halber und aus Kostengründen entschied sich Daimler für ein hölzernes Zweirad mit Stützrädern. Somit sollte der Daimler Reitwagen auch das erste Motorrad der Welt werden. Der 1885er Motor mit den 264 ccm Hubraum wurde direkt unter den wie ein Reitsattel geformten Ledersitz montiert. Dort befand sich auch der Auspuff, Gottlieb Daimler musste schon großes Vertrauen in seine Erfindung haben, um sich bei den Versuchsfahrten im heimischen Garten direkt auf den Motor zu setzen. Aber sein Vertrauen sollte sich auszahlen: am 29. August 1885 wird das Patent DRP 36423 angemeldet, ein „Fahrzeug mit Gas- bzw. Petroleum-Kraftmaschine“. Der Daimler Reitwagen ist geboren.

Die ersten Meter des Daimler Reitwagen

Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach entwickeln den Daimler Reitwagen in der Folge weiter. Auffälligste Verbesserungen betreffen die Lenkung und den Antrieb. Die indirekte Riemenlenkung wurde durch einen direkten Steuerkopf ersetzt und dadurch verbessert. Durch zwei unterschiedlich große Riemenscheiben konnte man im Stand nun die Übersetzung zweistufig ändern und wahlweise die Höchstgeschwindigkeit von 6 oder 12 km/h erreichen.



Nach einigen Versuchsfahrten von Wilhelm Maybach in und um Cannstatt war es Gottlieb Daimlers jüngerem Sohn Adolf vergönnt, mit dem Daimler Reitwagen eine längere Ausfahrt zu unternehmen. Am 10. November 1885 fuhr er von Cannstatt nach Untertürkheim und zurück, was immerhin die stattliche Strecke von drei Kilometern bedeutete. Damit hatte Daimlers Verbrennungsmotor und der Daimler Reitwagen die Feuerprobe bestanden. Ebenso wie Carl Benz mit seinem Benz Patent-Motorwagen 1886 der Mobilität den entscheidenden Fortschritt brachte, baute auch Gottlieb Daimler im selben Jahr sein erstes vierrädriges Fahrzeug.

Das Original des Reitwagens fiel 1903 einem Feuer zum Opfer. Es gibt aber immer wieder originalgetreu Repliken des ersten Motorrads der Welt auf dem Markt. Was aber die Vorreiterrolle dieses einzigartigen Zeitdokuments nicht schmälert. Im Gegenteil, anschaulicher wird man die ersten Schritte auf dem Weg zum Automobil nicht nachvollziehen können.

Daimler Reitwagen Cannstatt (1)


Fotos Daimler AG

Autor: Paolo Ollig

Paolo Ollig schreibt als Chefredakteur regelmäßig über alle Raritäten und Meilensteine der Automobil- und Motorrad-Geschichte. Traum-Klassiker: Lamborghini Countach und Mercedes-Benz 300 SL. Eigener Klassiker: Mercedes-Benz 230 CE (W123) von 1981.

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