Alfa Romeo Giulia – Die Quadratur des Kreises

Alfa Romeo Giulia Super 1300 (5)

Manchmal passt einfach alles zusammen, dann trifft Sachlichkeit auf Sinnlichkeit, Sportlichkeit auf Stil und Sound auf Schönheit. So war es 1962, als die Alfa Romeo Giulia präsentiert wurde.

Im Grunde scheint es keine große Sache zu sein, aus Giulietta wird Giulia. Sowie der Name erwachsen wird, zeigt die Mittelklasse ebenfalls Zeichen einer Altersreifung. So wächst die Karosserie auf 4,185 Meter in die Länge, was sich auch in der gefühlten Geräumigkeit für die Passagiere niederschlägt. Die Limousine ist übrigens eine hauseigene Entwicklung, nur für das Bertone-Coupé und den Spider, der von Pininfarina gezeichnet wurde, nahm man die Hilfe von externen Designbüros in Anspruch.

Die hohe, kantige Silhouette der Limousine mag von den Proportionen etwas arg konventionell wirken und nicht nach aerodynamischem Fortschritt aussehen. In Wahrheit wurde die Alfa Romeo Giulia während der Entwicklung aber ausführlich im Windkanal getestet und auch dahingehend aufgebaut. Auch deshalb hat sie mit 0,34 cw einen sehr niedrigen Luftwiderstandswert. Zum Vergleich, eine Citroën DS, ein Opel GT oder eine Mercedes-Benz Pagode liegen teils deutlich darüber.

Alfa Romeo Giulia – Sportliche Gene in allen Lagen

Wer sich heute eine Alfa Romeo Giulia kaufen möchte, hat ein breites Spektrum vor sich, dank der mehr als eine halbe Million gebauter Exemplare. Im Grunde wurden nur zwei Otto-Motoren in die Giulia eingebaut, mit 1300 oder 1600 cm³ Hubraum. Im Jahr 1976 wurde kurzeitig auch ein 1,8 Liter-Dieselmotor von Perkins verbaut. Die 37 kW/52 PS Leistung wollten aber nicht so recht zur Alfa Romeo Giulia passen und so wurde dieser Motor auch nicht von der Käuferschaft goutiert und zum Flop. Als erste Motorisierung brachte Alfa die 1,6 Liter-Maschine mit der Bezeichnung TI für „Turismo Internazionale“ auf den Markt. Der Vierzylinder erzeugte 68 kW/82 PS bei 6.200 Umdrehungen. 1964 setzte man mit der der TI Super noch eins drauf. Zwei Weber Doppelvergaser ließen die Leistung auf 82 kW/112 PS ansteigen, das Gewicht wiederum sank um 90 Kilogramm auf 910 kg, was die Giulia agil die 185 km/h-Schallgrenze durchbrechen ließ.

Das Spitzenmodell TI Super wurde allerdings nur 501 Mal gebaut, 178 Exemplare im Jahr 1963 und 323 im Folgejahr, was immerhin ausreichte, um für die Giulia die Homologation für Tourenwagen zu erhalten. Auch wenn die TI Super den „Cuore sportivo“ exemplarisch nach außen vermittelt hat, war die Öffnung nach unten aus wirtschaftlicher Sicht viel wichtiger. Also wurde am 11. Mai 1964 die Alfa Romeo Giulia 1300 mit dem entsprechend Hubraumreduzierten Motor präsentiert.

Sie kam immerhin auf 57 kW/78 PS, was kein immenses Gefälle in der Leistung darstellt. Die 1300er Giulia ist zudem etwas einfacher in der Ausstattung und den Details gehalten. Auffälligstes Merkmal der frühen 1300er ist gewiss, dass die „kleine Giulia“ eine geänderte Frontpartie hat mit zwei einfachen Scheinwerfern, während die 1600er Doppelscheinwerfer haben. Diesen Tribut an das Überholprestige haben sich bekanntlich auch andere Marken für die besser motorisierten Modelle zu Eigen gemacht.

Ein Jahr später folge die Giulia Super, die im Grunde eine domestizierte Variante der TI Super war. Es sollte die meistverkaufte Giulia-Limousine werden, der 72kW und 98 PS leistende Motor spiegelt das Wesen der Alfa Romeo Giulia wohl ziemlich genau wider.

Bis 1977 wurden weitere Evolutionsstufen des 1,3 und 1,6 Liter-Motors herausgebracht. Im Kern blieb das Rahmengerüst unter der Haube aber stets das gleiche: Ein aus Aluminium gefertigter Motorblock, eine fünffach gelagerte Kurbelwelle, zwei kettengetriebene obenliegende Nockenwellen und Ventile, die über Tassenstößel betätigt werden. Lediglich die Vergaseranlagen und die Verdichtungsverhältnisse unterschieden sich und sorgten somit für Abstufungen in der Leistung.

Bauzeitraum | Version
1962 – 1967 | 1600 TI
1963 – 1964 | 1600 TI Super
1964 – 1971 | 1300
1965 – 1972 | Super
1966 – 1972 | 1300ti
1970 – 1972 | 1300 Super
1968 – 1970 | 1600 S
1972 – 1974 | Super 1.3
1972 – 1974 | Super 1.6
1974 – 1977 | Nuova Super 1.3
1974 – 1977 | Nuova Super 1.6
1976 – 1977 | Nuova Super Diesel

Tipps zum Kauf – den Vorurteilen über die Alfa Romeo Giulia zum Trotz

Was viel später erst zum Markenslogan wurde, „Cuore Sportivo“, wurde bei der Alfa Romeo Giulia in den 60ern und 70ern schon gelebt. Die Leistungsentfaltung, die Dynamik und der Sound haben nicht nur sportliche Gene, sie leben sie auch in allen Facetten aus. Was direkt zum ersten Hinweis führt, was es zu beachten gilt, wenn man sich heute eine Giulia kaufen möchte.

Eigentlich ist – entgegen landläufiger Vorurteile – die Technik der Alfas aus dieser Ära sehr zuverlässig. Schwierig wird es nur, wenn im Lauf der Zeit an den Giulias herumgeschraubt wurde, um mit mehr oder minder ausgereiftem Halbwissen versucht wurde, der Sportlichkeit auf die Sprünge zu helfen. Mitunter wurde gerne der 1750er oder gar 2000er Motor nachträglich eingebaut. Das ist mit Vorsicht zu genießen, zumal wenn die Bremsanlage, Achsen oder Aufhängung nicht angemessen angepasst wurden. Aber auch, wenn bei der Elektronik oder anderen Bestandteilen des Motors herumgespielt wurde. Höhere Laufleistungen sollten bei der Alfa Romeo Giulia eigentlich kein Problem darstellen, sorgfältige Pflege und Wartung vorausgesetzt. So sollte etwa alle 30.000 Kilometer Ventilspiel, Zündung und Vergasereinstellung überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden, was innerhalb von wenigen Arbeitsstunden erledigt sein sollte. Bei der Gelegenheit lohnt sich ein Blick auf die Vergaserflansche. Deren Gummis sind gerne rissig und undicht. Dies führt zum Abmagern des Gemischs und letztlich zu Schäden an Kolben.

Ebenfalls nicht ganz dicht ist manchmal die Zylinderkopfdichtung. Sie neigt dazu, im hinteren Teil des Motors Öl nach außen dringen zu lassen. Außerdem macht das Kardanmittellager häufiger Kummer, und die Kardanwelle neigt bei ausgeschlagenen Kreuzgelenken zu unschönen Geräuschen. Die Getriebe sind eigentlich unkompliziert. Nur wenn sie sich mit Kratzgeräuschen melden, ist vermutlich die Synchronisierung verschlissen.

Auch undichte Kupplungsnehmer-Zylinder können Ursache für Schaltschwierigkeiten sein. Entgegen gewisser Vorbehalte gegenüber der einen oder anderen Baureihe oder Generation gibt es übrigens keine signifikanten Unterschiede in der Fertigungs-Qualität innerhalb der Giulia-Familie. Auch im Hinblick auf Rost sieht es nicht ganz so schlecht aus, wie man vielleicht als leidgeplagter Alfasud-Fan meinen mag.

Tops und Flops der Alfa Romeo Giulia

Das zentrale Bodenblech der Alfa Romeo Giulia zeigt sich beispielsweise erstaunlich rostresistent. Lediglich wenn die Dichtung der Frontscheibe undicht ist, kann das Blech im Fußraum korrodiert sein. Alle übrigen Bereiche, die von Spritzwasser betroffen sind, sollten dafür aber umso mehr im Fokus sorgfältiger Sichtprüfung stehen: Frontschürze und Aufnahmen der vorderen Querstabilisatoren, Vorderkante der Motorhaube, Lampengehäuse Kotflügel mitsamt der Radläufe. Zudem sind die Türunterkanten durch die rostfördernden Nuten für die Türgummis gefährdet. Eine klassische Angriffsfläche für die braune Pest sind die die doppelwandigen Schweller und die Wagenheberaufnahmen. Nach der Auflistung der Mängel lohnt zur Beruhigung ein Blick ins Ersatzteillager.

Dank des langen Bauzeitraumes und den vielen Teilen, die auch in den Coupés und dem Spider verbaut wurden, ist die Ersatzteilversorgung sehr gut. Und das zu sehr moderaten Preisen. Das bestätigt auch Frank Hanel, der in seinem auf Alfa Romeo spezialisierten Ersatzteilhandel einen umfangreichen Fundus an Originalteilen und gleichwertigen Nachfertigungen anbieten kann. Stichwort Preise, für höhere vierstellige Summen kann er der Einstieg bei einer Giulia beginnen. Gute Fahrzeuge sind schon eher im Bereich von 30.000 EUR und darüber beheimatet. Wer ein sorgenfreies Leben mit der Giulia haben möchte, sollte sich eher im oberen Spektrum und bei entsprechend guten Exemplaren umsehen.

Die steigende Entwicklung der Preise für Giulia-Limousinen in den vergangenen Jahren zeigt, dass sich der charismatische, elegante und sportliche Alfa eine großen Fangemeinde erfreut. Die Vorzüge liegen auf der Hand und sie sind nicht nur emotionaler Natur. Es gibt auch allerlei rationale Gründe, warum die nächste glückliche automobile Beziehung auf den schönen Namen „Giulia“ hören sollte.

Fotos Fiat Chrysler N.V., Classic Trader

Autor: Paolo Ollig

Paolo Ollig schreibt als Chefredakteur regelmäßig über alle Raritäten und Meilensteine der Automobil- und Motorrad-Geschichte. Traum-Klassiker: Lamborghini Countach und Mercedes-Benz 300 SL. Eigener Klassiker: Mercedes-Benz 230 CE (W123) von 1981.

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