ADAC Ratgeber Serie: Rallye – Knowhow und Details Teil 1

historischer Straßenrennwagen in voller Fahrt

Die meisten Veranstaltungen für Oldtimer- und Youngtimer-Besitzer sind touristische Ausfahrten, die jeder Führerscheininhaber problemlos bewältigen kann. Oft gibt es Streckenpläne oder einfache Fahrt-Anweisungen oder wenn es etwas aufwendiger organisiert ist, auch ein sogenanntes Bordbuch bzw. Roadbook, mit welchem wir uns in diesem Kapitel ebenfalls kurz befassen. Bei der klassischen Oldtimer Rallye werden dem Fahrer und auch dem Beifahrer eine gewisse Geschicklichkeit und ein genaues Timing abverlangt. Das Ganze ist aber auch kein Hexenwerk. In diesem Kapitel finden Sie ein paar Tipps für den Einstieg in das Thema. Probieren Sie es einfach mal aus – Übung macht den Meister.

Rallye Must-haves: Gebetbuch, Tripmaster und Chinesen-Zeichen

Begonnen hat alles mit einer Rolle Endlospapier. Damals – 1955 – im Vorfeld der Mille Miglia, als Stirling Moss und sein Beifahrer Denis Jenkinson in zweimonatiger Arbeit einen Aufschrieb der gut 1.600 Kilometer langen Strecke erstellten. Das erste „Gebet-, Bord- oder Roadbook“ war geboren. Es bestand der Überlieferung nach aus 16 Metern Papier mit Tausenden von Symbolen, die Jenkinson während der Hatz durch Italien seinem Fahrer per Gesten und Handzeichen übermittelte. Das Ergebnis der mühevollen Vorbereitung konnte sich sehen lassen: Gesamtsieg mit einer Fabelzeit von zehn Stunden, sieben Minuten und 48 Sekunden – und damit genau 32 Minuten vor dem Zweitplatzierten, dem allein fahrenden Juan Manuel Fangio, ebenfalls auf MercedesBenz 300 SLR. Im Rallye-Sport sollten noch ein paar Jahre vergehen, ehe der Nutzen eines vorab erstellten Streckenaufschriebs erkannt wurde.

auf den Spuren mancher Oldtimer Rallye

Während in den 20er- und 30er-Jahren Rallyes stets im Schatten der großen Straßenrennen wie Mille Miglia und Targa Florio standen und eher die extravagante Ausstattung des Fahrzeugs oder die Zahl der Passagiere bewertet wurde, standen in den 50er-Jahren zunehmend Ausdauer, Orientierungssinn und Geschicklichkeit im Vordergrund. So war die Rallye Monte Carlo noch lange keine reine Geschwindigkeitsprüfung: Entscheidend war vielmehr die gleichmäßige Fahrweise. Die Fahrzeuge, meist leistungsstark und bequem, waren mit zahlreichen Chronometern ausgerüstet, um die vorberechnete Geschwindigkeit so genau wie möglich bis ins Ziel einzuhalten. Die Streckenführung war im Prinzip bekannt, mit Ausnahme einiger geheimer Abschnitte und versteckter Zeitkontrollen. Man musste also so genau wie möglich die Idealgeschwindigkeit einhalten. Entsprechend waren die Cockpits ausgestattet: Neben einer Vielzahl von Stoppuhren und verschiedenen Speed-Pilots gab es zahlreiche andere nützliche Hilfsmittel, wie zum Beispiel beleuchtete Kartenrollen und Lupen, Flaschenhalter, Rasierapparate, Waschgelegenheit, Kaffeemaschine und andere Dinge, die je nach Charakter der Rallye für ein wenig Komfort sorgten. Moderne, schnelle Rallyes kamen erst ab 1960 von Schweden in den Rest Europas und waren verbunden mit berühmten Namen wie zum Beispiel Erik Carlsson, Spitzname „Carlsson auf dem Dach“. Der Spitzname basiert auf dem Kinderbuch „Karlsson vom Dach“ von Astrid Lindgren. Erik Carlsson bekam ihn, weil er zwar sehr schnell war, aber oft auch zu schnell und sich entsprechend gerne überschlug und auf dem Dach landete.

Technische Evolution und Komfort im rallye Sport

Im gleichen Jahr gewann ein deutsches Team erstmals die Rallye Monte Carlo – Schock/Moll in einem Mercedes-Benz 220 SE. Nur sechs Bergprüfungen wurden damals auf Bestzeit gefahren, sonst lagen die Schnitte der Spezial-Etappen bei 55 bis 60 km/h. Doch es war wiederum ein Engländer, der durch die Einführung des Gebetbuchs 1962 die gesamte Struktur des Rallyesports veränderte – BMC-Rennleiter Stuart Turner. Es wurde schneller, ernster und professioneller. Dazu kam ein weiteres technisches Hilfsmittel, der Trip- bzw. Twinmaster. Dabei handelt es sich um ein Gerät für die Wegstrecken-Messung, mit dessen Hilfe man Gesamt- oder Teilstrecken auf zehn Meter genau ausmessen kann. Unentbehrlich für eine genaue Orientierung und zügiges Vorankommen. Im Vergleich zum Tripmaster verfügt der Twinmaster über eine zweite Anzeige, z. B. für das zusätzliche Ausmessen der Gesamtstrecke. Für Gleichmäßigkeitskontrollen im Stile der 50er-Jahre, wie sie heute bei Veranstaltungen wie der ADAC Rallye Stemweder Berg Historic, ADAC Bavaria Historic, ADAC Württemberg Historic, ADAC Heidelberg Historic (um nur einige zu nennen) gefahren werden, sind neben geeigneten Wegstrecken-Zählern Schnitttabellen und Stoppuhren erforderlich. Mechanische Chronometer aus der damaligen Zeit sind nicht nur optisch eine Augenweide, sondern erfüllen alle gewünschten Anforderungen.

Natürlich schreibt heute nicht jede Crew ihr eigenes Gebetbuch. Das Bordbuch wird vom Veranstalter erstellt und besteht in der Regel aus den so genannten Chinesen-Zeichen. Durch Richtungspfeile, die eine bestimmte charakteristische Situation darstellen (Kreuzung, Abzweigung, Kurve usw.), gibt der Veranstalter die zu fahrende Strecke vor. Die Chinesen-Zeichen werden entweder nach ihrer Reihenfolge im Bordbuch oder nach der entsprechenden Kilometerangabe abgefahren. Bei allen Chinesen-Zeichen wird die Anfahrt durch einen Punkt, die Richtung der Weiterfahrt durch einen Pfeil bezeichnet, immer nach dem Grundsatz: vom Punkt zum Pfeil fahren. Straßenkarten sind theoretisch nicht mehr erforderlich, außer als Teil von Orientierungsaufgaben, wobei in die Karte eingezeichnete Pfeile den richtigen Weg weisen. Kommen die Teilnehmer zu einer Zeitkontrolle oder zum Start bzw. Ziel einer Gleichmäßigkeitskontrolle, wird ihnen dies durch entsprechende Schilder am Straßenrand kenntlich gemacht. Ist man in der Idealzeit, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Aber Fehlerquellen gibt es genug: Eine zu früh oder zu spät gedrückte Stoppuhr, ein fehlerhaft laufender Tripmaster, eine falsche Ansage des Beifahrers, ein leicht nervöser Gasfuß und anderes mehr. Letztendlich kommt es immer auf das Zusammenspiel Fahrer/Beifahrer an. Dabei gilt spätestens seit der Mille Miglia 1955 der Grundsatz: Bei Linkslenkern sitzt das Gehirn rechts. Egal ob männlich oder weiblich.


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Fotos: Classic Trader

Autor: Classic Trader

Die Classic Trader Redaktion besteht aus Oldtimer-Enthusiasten, die Euch mit spannenden Geschichten versorgen. Kaufberatungen, unsere Traum Klassiker, Händlerportraits und Erfahrungsberichte von Messen, Rallyes und Events. #drivenbydesire

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